zum Hauptinhalt

Homepage: Das Selbstdenken lehren

Die Potsdamer Religionswissenschaftlerin Francesca Y. Albertini ist mit 37 Jahren gestorben

Stand:

Es ist gerade ein Jahr her, dass Francesca Yardenit Albertini als Beamtin auf Lebenszeit vereidigt wurde. Da war sie schon fast drei Jahre in Potsdam. Zum Wintersemester 2007 hatte sie den Ruf auf den Lehrstuhl für Religionswissenschaften an der Universität Potsdam angenommen und einen nach Frankfurt am Main ausgeschlagen. Es reizte sie, am Aufbau des eben erst gegründeten Instituts für Jüdische Studien mitzuwirken und einen bereits etablierten Studiengang auf institutionelle Füße zu stellen. Die junge Frau freute sich auf die Herausforderung.

Sie mochte Herausforderungen. Ihr Abitur schloss sie 1993 mit Bestnoten ab. Vier Jahre später auch ihr Studium, Hauptfach Religionsphilosophie. Anschließend studierte sie Evangelische Theologie und promovierte. Gleichzeitig. 2001 erhielt sie sowohl das Diplom der Facoltà Teologica Valdese in Rom wie auch die Promotionsurkunde der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität.

Sechs Jahre später reichte sie ihre Habilitationsschrift ein und bekam noch im selben Monat den Ruf nach Potsdam. Zudem beherrschte sie fließend elf Sprachen. Als die PNN sie im November 2007 zum Gespräch traf, beeindruckte besonders ihre Bescheidenheit und ihr ethischer Anspruch im Bezug auf die Lehre. Sie wollte die Studierenden zum Selbstdenken erziehen, ihnen ihr Wissen zur Verfügung stellen und sie strukturiertes Denken lehren. Ihnen die Lust an der Wissenschaft vermitteln, die sie selber antrieb.

Die Frage, wie ihr, die 1974 in Rom geboren wurde, das italophile Potsdam gefalle, beantwortete sie in fehlerfreiem Deutsch, allenfalls die überkorrekte Ausdrucksweise verriet die Nicht-Muttersprachlerin. Sie sprach von ihrem Unbehagen gegenüber nationalen Klischees. Ihre Worte waren nicht belehrend, sie suchte das Gespräch, spürte bei ihrem Gegenüber inhaltliche Bezugspunkte auf, um ihre Argumentation zu entfalten. Als einziges Zugeständnis gab sie lachend zu, dass der in Deutschland angebotene Kaffee meist scheußlich schmecke - und schenkte dann heißen Tee nach. Es war Herbst und ihr großes Büro in den alten Gemäuern am Neuen Palais kühl und karg. Die Bücherregale noch leer. Sie blieben es nicht lange. „Am liebsten würde ich immer nur lesen“, gestand sie ihren Kollegen.

In den letzten Monaten hat sie die Edition von Martin Bubers „Schriften zum Messianismus“ beendet. Das nächste Projekt, eine große Studie zu den Karäern, einer Gruppierung im Judentum, die sich im 8. Jahrhundert formierte und die rabbinischen Auslegungswerke ablehnt, war in Vorbereitung, das Forschungssemester schon durchgeplant. Ihre jüdische Herkunft war ihr eine Selbstverständlichkeit, ihre Hinwendung zum Reformjudentum schon weniger. Das sei Privatsache und solle im wissenschaftlichen Umgang keine Rolle spielen. Dass sie seit zwölf Jahren an einer chronischen Krankheit litt, hat sie zu ignorieren versucht.

Am Dienstag endete abrupt die Lebenszeit von Francesca Albertini. Lena Zade

Lena Zade

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })