Homepage: Das Standbein weggegrätscht
Ein Fall für die Sportmediziner: Zu den Schattenseiten des Fußballs gehören die Verletzungen
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Noch neun Tage bis zur Fußball-Weltmeisterschaft. Auch Potsdamer Wissenschaftler sind im Fußball-Fieber. In dieser Serie fragen die PNN, was die Experten am Fußball beschäftigt. Heute sprachen wir mit Sportmediziner René Kittel und dem Sportwissenschaftlicher Prof. Ditmar Wick von der Uni Potsdam über eine Schattenseite des Fußballs: die Verletzungen.
Mit 1,2 Verletzungen pro Fußballspiel ist zu rechnen. Das besagt zumindest die Statistik. „Da sind aber auch Prellungen mit dabei“, erklärt der Sportmediziner René Kittel von der Uni Potsdam. Nicht immer müsste der Verletzte deswegen den Platz verlassen. Neben dem einfachen Pferdekuss oder blauen Flecken, müssen Fußballer auch mit vielen ernsthaften Verletzungen rechnen. Eine der schlimmsten, aber auch häufigsten Verletzungen, so Kittel, ist der Kreuzbandriss. Ausfallzeit in der Regel: vier bis sechs Monate. „Das ist aber das absolute Optimum. In der Regel sind schon sechs Monate kritisch“, erklärt Kittel.
Wie kommt es zu so schwer wiegenden Verletzungen? „Das ist ein einfaches Gegenwirkungsgesetz“, erklärt der Potsdamer Sportwissenschaftler Prof. Ditmar Wick. Wenn beispielsweise das Standbein des Spielers durch den Gegner weggegrätscht wird, oder der Spieler nach einem Sprung falsch aufkommt. „Der Körper braucht etwa 240 Millisekunden Zeit, um auf einen Angriff zu reagieren. Die meisten Foul-Situationen sind wesentlich kürzer“, so Wick. „Ganz gefährlich sind Grätschen von hinten. Da kann der Körper gar nicht reagieren.“ Dagegen gehen die Schiedsrichter mittlerweile mit roten Karten vor. „Auch ein gestrecktes Bein von vorne, ist gefährlich. Da wirken die Stollen des Fußballschuhs wie eine Waffe“, warnt der Sportwissenschaftler.
Eine Verletzung muss aber nicht immer böswillig zu Stande kommen. Das Verletzungsrisiko steigt mit der Dauer des Spiels von alleine. „Wenn die Konzentration des Sportlers nachlässt, leidet auch die Koordination. Dann kommt es am Ende des Spiels häufiger zu Verletzungen“, erklärt Kittel. „Das beste Beispiel ist der letzte Kreuzbandriss von Jens Nowotny“, verweist der Sportmediziner auf den aktuellen deutschen Nationalspieler. „Der knickte einfach um, ohne Einmischung.“ Ein typischer Fall: „Der Fuß bleibt stehen, über dem Knie will der Körper weiter. Dadurch entsteht eine Rotation, die der Körper nicht auffangen kann.“ Neben solchen Standard-Fällen, die den Sportmedizinern bestens vertraut sind, gibt es aber auch ungewöhnliche Verletzungen. Kittel nennt beispielsweise die Schultereckgelenkssprengung. Dafür muss der Sportler entweder sehr ungünstig auf den ausgestreckten Arm fallen oder gegen den Pfosten laufen. Das komme im Rugby, wo es härter zugeht, wesentlich häufiger vor.
Ab und an sieht man auch Fußballer mit Gesichtsmasken. „Das ist in der Regel die folge einer Jochbeinfraktur“, so Kittel. Die Gesichtsknochen brechen im Regelfall bei Zweikämpfen in er Luft, wenn ein Spieler gegen den Ellbogen des anderen springt. „Das dauert eine Weile“, verweist der Mediziner auf den langwierigen Heilungsprozess.
Weniger dramatisch sind in der Regel Kopfverletzungen, bei denen zwei Spieler mit den Schädeln aneinander krachen. „Das blutet meist furchtbar, aber nur kurzfristig“, so Kittel. Im Normalfall wird so was noch am Spielfeldrand getackert. „So lange der Spieler blutet, darf er nicht wieder aufs Feld. Das steht so in den Regeln“, erklärt Kittel.
Eine andere Verletzungsgefahr für Fußballer sind mittelfristige Überlastungserscheinungen wie beispielsweise Adduktorenprobleme. „Dazu haben wir an unserem Institut einen eigenen Erklärungsansatz“, so Kittel. Allgemein geht die Forschung davon aus, dass Fußballer kürzere Adduktoren – Oberschenkelmuskeln zum Heranziehen eines Körpergliedes – haben. Was die häufigen Verletzungen erklären würde. Die Potsdamer Forscher gehen hingegen von einer Verschiebung des Beckens aus. „Die Schusshaltung hat Einfluss auf die Statik des Beckens“, so Kittel. Seine Studie ist allerdings noch nicht so weit, dies im Detail zu beweisen. Sollte sich der Ansatz allerdings als richtig erweisen, ließen sich Adduktorenprobleme relativ leicht, durch eine entsprechende physiotherapeutische Behandlung beheben.
Und was können Fußballer tun, um sich vor Verletzungen zu schützen? „Man muss die konditionellen Grundlagen schaffen. Und so die Ermüdungsresistenz erhöhen“, erklärt Kittel. „Was Jürgen Klinsmann momentan probiert, ist genau richtig. Er versucht die Athletik knallhart hochzufahren.“ Ein Problem habe der deutsche Bundestrainer allerdings, das ihn ebenso belaste wie alle anderen Nationen bei der WM: Die Regenerationszeiten. Ein typisches Beispiel sei die WM 2002. Weltmeister Frankreich schied schon in der Vorrunde aus, ohne ein Tor geschossen zu haben. Kittels Meinung nach war die fehlende Pause für die Leistungsträger Schuld daran. Fast die gesamte Mannschaft war bis zum Beginn des Turniers mit ihren Vereinen in der Champions League und Meisterschaften eingespannt. „Man müsste theoretisch eine Regenerationszeit von zwei bis drei Wochen haben. Und dann erst mit dem WM-Aufbau beginnen“, sagt Kittel. Entscheidend für den Erfolg bei der WM sei es eben, die Mannschaft über Wochen optimal vorzubereiten.
Bodo Baumert
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