Landeshauptstadt: Das strategische Hirn des Krieges
In der Kaserne Krampnitz schmiedeten Nazi-Generäle die Angriffspläne für den Weltkrieg. Nach 1945 wurde die Anlage zur Kleinstadt für 6 000 sowjetische Soldaten HEUTE TEIL 3: Die Geschichte der Entstehung und Nutzung
Stand:
Dass die Anlage der Krampnitzer Kaserne bis heute ein nahezu unversehrtes Zeugnis nationalsozialistischer Militärarchitektur ist und Ende des Zweiten Weltkrieges unzerstört blieb, liegt an einem erfolgreichen Täuschungsmanöver. Am Fahrländer See, nur einige Kilometer entfernt, war für Luftangriffe eine zweite Anlage als Ziel für die amerikanischen und britischen Bomber simuliert worden. Und während die Fliegerbomben auf die Attrappe hagelten, blieb die erst sechs Jahre zuvor fertiggestellte Kaserne von Treffern verschont.
Dass die Krampnitzer Anlage von den Alliierten besonders ins Visier genommen wurde, hatte seinen Grund: Hier saß das strategische Hirn von Hitlers Wehrmacht. Es war der Platz, an dem die Geschichte moderner Kriegsführung neu geschrieben wurde: Statt des Vorrückens der Fußtruppen in Marschgeschwindigkeit wurden hier die Angriffspläne des sogenannten Blitzkrieges geschmiedet, der den Zweiten Weltkrieg prägen sollte. Heeresgeneral Heinz Guderian, der maßgeblich an der Entwicklung neuer Gefechtskonzepte beteiligt war und als Erfinder der Panzertruppe als selbstständige Truppengattung gilt, hatte hier seinen Dienstsitz.
Krampnitz spielte aber auch eine zentrale Rolle bei der Planung des Hitler-Attentats. Claus von Stauffenberg, der wichtigste Mann dieser Verschwörung, hatte den Standort im Norden von Potsdam mitaufgebaut und war dort später immer wieder anzutreffen – auch Tage vor dem Putsch. Die in Krampnitz stationierten Einheiten sollten Stauffenberg und seine Vertrauten absichern bei ihrem Versuch, die Reichshauptstadt Berlin zu kontrollieren und den Nationalsozialisten den weiteren Zugriff auf den Staatsapparat zu verweigern. In den letzten Kriegstagen spielte der Komplex für wenige Tage noch einmal eine zentrale Rolle, als er Station auf dem Rückzug der Militärführung wurde, die sich von Berlin in Richtung Schleswig-Holstein absetzte.
Der Bau der Kaserne war von der Wehrmacht ab Mitte der 1930er-Jahre geplant. Insgesamt 25 Hektar von 18 Fahrländer Landwirten, Obstbauern und Fischern wurden dafür enteignet. Unter Federführung des Architekten Robert Kirsch, der u.a. Kasernen in Spandau und Fürstenwalde entworfen hatte, plante die Reichswehr eine Kaserne, die traditionell und modern zugleich sein sollte. Sie sollten den Übergang von der traditionellen Kavallerie zu Pferd zur motorisierten Kriegsführung markieren. Die seit 1866 in Hannover angesiedelte Reit- und Fahrschule, in der Pferde für Offiziere zugeritten wurden, zog im September 1939 an den Krampnitzer See. Die neue Kaserne hieß „Heeres Reit- und Fahrschule und Kavallerieschule Krampnitz“ und zog zunächst vor allem viele adlige Offiziere an, die als Sportreiter bei Turnieren sowie Olympischen Spielen zahlreiche Medaillen errangen. Als die Kaserne 1945 geräumt wurde, sollen den Überlieferungen zufolge „fast zwei volle Wagenladungen allein mit den Ehrenpreisen“ der Reitsportwettbewerbe abtransportiert worden sein.
Über Planung und Realisierung geben Akten im Landeshauptarchiv und der Nachlass von Kirsch Auskunft, der in der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen Berlin zu finden ist. Die Anlage war geplant für eine Mannschaftsstärke von 3700 Mann, 1800 Pferde und eine Wohnsiedlung für 450 Familien: Arbeiterwohnungen für Schlosser, Mechaniker, Sattler, Gärtner, Köche und sonstige Zivilangestellte des Kasernenbetriebes. Markantes Element der Anlage ist bis heute der große Turm am Eingang der Kaserne. Das Areal ist geprägt durch zwei Hauptachsen. Entlang der Süd-Nord-Tangente entstanden das Offizierskasino, je drei Offiziers- und Fähnrichswohnheime, das Stabs- und zwei Mannschaftsgebäude. An der Ost-West-Achse liegen gleichfalls Offiziersheime und Mannschaftsgebäude, der zentrale Reitplatz, Reithallen und Ställe. Gegenüber der ursprünglichen Planung wurde 1939 der Bereich der „Kavallerieschule“ für motorisierte Einheit erweitert. Ergänzend entstand zudem ein moderner Werkstatt- und Garagenkomplex mit 16 Hallengebäuden.
Teile der Anlage wurden durch die Entwicklung des Krieges nach 1939 bald überholt. 1941 wurde die Kaserne in „Schule für schnelle Truppen“, zwei Jahre später in „Panzertruppenschule II Krampnitz“ unbenannt. 1944 wurden die motorisierten Einheiten nach Westpreußen verlegt. In den letzten Kriegswochen setze sich der verbliebene Gruppenrest mit 150 eigenen wertvollen Pferden und 300 aus Ostpreußen mitgebrachten Trakehnern nach Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein in amerikanische und britische Gefangenschaft ab.
Von 1945 bis 1983 war in Krampnitz die 10. Garde Ural Panzerdivision der sowjetischen Armee stationiert. Bis 1989 wurde die Kaserne als Ausbildungsstätte für Soldaten aller sowjetischen Heereseinheiten in der DDR genutzt – für die sogenannte Westgruppe der Truppen (WGT).
1989 waren auf dem Gelände etwa 6 000 WGT-Soldaten stationiert, außerdem wohnten hier 1 500 Familienmitglieder und Zivilangestellte. Die Anlage war damit fast doppelt so dicht belegt wie 1937 geplant. Dennoch waren die Verhältnisse und Bedingungen für die Soldaten wesentlich besser als in Kasernen in der Sowjetunion. Während dort 100 bis 150 Soldaten in einem Schlafsaal untergebracht waren, waren es in Krampnitz 25 bis 40.
Die Infrastruktur des Kasernenareals war die einer mittleren Kleinstadt. Es gab ein Warenhaus, einen Delikat-Laden mit Westwaren, einen Kindergarten und eine Schule, zwei Kinos, vier Sportplätze und ein Badehaus. Die Kaserne war bei Weitem nicht so abgeschottet, wie sich vermuten ließe: Die Anwohner aus der Nachbarschaft konnten in den Läden einkaufen, Handwerksfirmen aus Potsdam und der Umgebung hatten hier Aufträge, Schulklassen besuchten regelmäßig Filmvorführungen im Kasino.
1989 zogen die ersten Truppen ab. Das Panzer- und kurze Zeit später das Motorisierte Schützenlehrregiment wurden in die Heimat zurückverlegt. Als die UdSSR und Deutschland im Oktober 1990 den Vertrag über den Abzug der WGT-Truppen schlossen, war die Kaserne bereits zur Hälfte leer. Nachdem der letzte Soldat das Gelände verlassen hatte, wurde die Kaserne am 13. November 1991 dem Bundesvermögensamt Potsdam übergeben.
In der jüngeren Vergangenheit stand die Militärarchitektur Kulisse für große Filmproduktionen. Jean Jacques Annaud drehte hier sein Stalingrad-Epos „Enemy at the gates“, vor vier Jahren machten die „Inglourious Basterds“ hier ihre Filmgeschichte.
Am kommenden Freitag lesen Sie, was unter der Krampnitzer Erde liegt – und welche archäologischen Bodendenkmale dort bereits gefunden wurden.
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