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Landeshauptstadt: „Das Theater muss zum Publikum kommen“

Das Festival des Dialogs der Kulturen und Generationen schließt mit der Kunstaktion „Lange Tafel“

Stand:

Frau Mamatis, am heutigen Freitag werden 300 bis 400 Potsdamer vor dem Brandenburger Tor an einer langen Tafel Spagetti mit Tomatensoße essen. Wie soll aus einem öffentlichen Nudel-Essen ein Kunstwerk werden?

Zunächst einmal ist das ganze Essen inszeniert: 120 Schüler ab zwölf Jahren werden als Gastgeber agieren und Gespräche zum Thema „Werte im Wandel der Zeiten“ anregen, außerdem werden Musiker, Schauspieler und Sänger auftreten und das Thema lebendig machen. Das Ganze stellt eine abgeschlossene Szenerie dar: Der Platz ist das Bühnenbild, die Tafel ist die Bühne und das Erzählen ist das Schauspielern. Es handelt sich um eine prozesshafte Theaterinszenierung, bei der sich das Publikum gegenübersitzt und ins Gespräch kommt, anstatt nur als Zuschauer dabei zu sein wie im normalen Theater. Jeder kann mitmachen und das Kunstwerk damit verändern. Außerdem ist eine Tafel an sich schon ein Kunstwerk, zum Beispiel als ein kulturelles Zitat des „Letzten Abendmahls“ von Leonardo da Vinci.

Worin besteht das Festival des Dialogs der Kulturen und Generationen, das mit der Langen Tafel abgeschlossen wird?

Die beteiligten Schüler haben im September begonnen, Großeltern, Verwandte oder Nachbarn als Zeitzeugen zum Thema „Werte im Wandel der Zeiten“ über ihre Erinnerungen und Erfahrungen zu interviewen. Dabei entsteht im Sinne der „Oral History“, also mündlicher Geschichtsschreibung, eine Chronik mit allen gesammelten Geschichten, welche am Freitag an die Landeshauptstadt übergeben wird und dann im Potsdam Museum seinen Platz finden wird. Zudem wird die ganze Aktion am Freitag per Video und Foto dokumentiert und für ein Hörspiel aufgezeichnet werden.

Wie sind Sie auf die Idee dazu gekommen?

Ich hatte in Griechenland einmal etwas Ähnliches in einem Dorf erlebt, wo alle Bewohner an einer großen öffentlichen Tafel zusammen gegessen haben. Es ist ein gutes Mittel, um Menschen zusammenzubringen.

Bislang haben Sie meist in Berlin Lange Tafeln organisiert, warum nun in Potsdam?

Der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg hat mich hierher eingeladen, und ich bin gern gekommen, weil Potsdam eine wunderschöne Stadt mit tollen Menschen ist. In Berlin hatten die Langen Tafeln immer sehr starken Zulauf und viele davon werden mittlerweile jährlich von den Anwohnern selbst organisiert. Allein dieses Jahr gab es schon fünf Lange Tafeln. In Berlin sind im Gegensatz zu Potsdam oft viele Einwanderer unter den Teilnehmern, weshalb es thematisch oft um Fragen der Identität oder des familiären Zusammenhalts ging, aber auch zu Dingen wie „Wie viel Liebe braucht der Mensch?“ wurden die Zeitzeugen schon befragt. In Potsdam werden sicherlich mehr Menschen mit deutschen Biografien dabei sein, weshalb ich sehr gespannt bin, was die Zeitzeugen über den innerdeutschen Wertewandel vom Nationalsozialismus über die DDR bis heute erzählen werden.

Ihre erste Lange Tafel fand 2006 in der Bergmannstraße in Berlin statt und war 200 Meter lang. Wird die Tafel in Potsdam auch in Form einer Linie aufgestellt?

Nein, das ist wegen der Örtlichkeit leider nicht möglich, die Tafel wird die Form eines Halbkreises haben.

Gibt es eigentlich bei jeder Langen Tafel Spaghetti?

Ja, das ist einfach eine gemeinsame Schnittfläche: Spaghetti essen alle gerne, Jung wie Alt, und ich möchte mit der Aktion möglichst viele Menschen erreichen. Die Lange Tafel ist meine Antwort auf den Umstand, dass nur zwei Prozent der Bürger überhaupt ins Theater gehen – also muss das Theater zum Publikum kommen.

Die Fragen stellte Erik Wenk

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