1. Kunstmeile in Potsdam: Das Ungetüm im Garten
Potsdams erste Kunstmeile zwischen Villa Schöningen und Kunstraum blieb wenig bevölkert – vielleicht lag es am Wetter.
Stand:
Ausgerechnet am Samstag hat sich der sonst so zuverlässige Sommer eine kleine Auszeit gegönnt – mitten zum Sommerfest in der Villa Schöningen an der Glienicker Brücke, die mit der Ausstellungseröffnung „The night you can’t remember is the night I can’t forget“ des dänischen Künstlers Tal R sicherlich wesentlich mehr Gäste anlocken wollte. So blieb die Zahl der Neugierigen, die sich auf die Terrasse und in den wunderbaren Garten der Villa wagten, recht überschaubar.
Dabei setzten die Veranstalter auf Nummer sicher: Wer in der edlen, pompösen Umgebung der Villa Champagner und Kanapees erwartete, wurde eines Besseren belehrt, bekam stattdessen ganz klassisch Bratwurst und Fassbier gereicht – eine Villa mit dem Flair einer Kleingartenanlage, und mit ausgeprägtem Wohlfühlcharakter. Und mit Kunst natürlich: Im Garten unter den mächtigen Bäumen steht eine bedrohliche, dreiköpfige Plastik in wuchtigem Schwarz. Ein Löwe? Hund? Ungetüm? Überhaupt: Was ist das für ein Material? Vorsichtiges Anklopfen: Ja, scheint Bronze zu sein. Aber diese dunkle Patina gibt dennoch Rätsel auf. Vielleicht Zartbitter-Schokolade. Die Plastik ist übrigens von Stella Hamberg, die am selben Tag im Kunstraum ihre Ausstellung eröffnet, verrät Organisatorin Hanne Bahra.
Bevor es zu regnen anfängt, schnell hinein in die Villa Schöningen zur Ausstellung von Tal R. Im Foyer spielt das Berliner Jugendorchester „Euphoria“, ein Kammerorchester mit ganz klassischer Musik, Brahms folgt die Treppen hinauf in die Ausstellung. Dort ist alles so dunkel verhangen, dass man sich erst mal daran gewöhnen muss. „Bitte gehen Sie langsam und achtsam durch die Ausstellung“, die Anweisungen kleben auf kleinen Zetteln an den Türrahmen. Aha, Kunst: Tal R hat die ganze Etage mit quietschbunten Figuren und Materialien vollgestellt, die sich zum Teil auch noch drehen und verstörende Geräusche absondern. Ganz nett anzusehen, keine Frage, und das hat auch einen gewissen Psilocybin-Charme. Dieser dadaistische Nonsens könnte jedoch durchaus auch von einem Zehnte-Klasse-Kunstkurs eines beliebigen Potsdamer Gymnasiums stammen. Roter Faden? Fehlanzeige, alles wirkt in seiner vollgestapelten Schrillheit irgendwie austauschbar. Nun ist Kunst aber auch Geschmackssache, und bis zum 16. Oktober kann sich jeder selbst ein Bild davon machen.
Das Ungetüm im Garten hat jedoch neugierig gemacht, also auf, die Meile bis in den Kunstraum im Waschhaus zu laufen, wo die Ausstellung von Stella Hamberg eröffnet wird. Dort ist schon der Soundtrack ganz anders: Stella Hamberg wollte nämlich mal Schlagzeug lernen, verrät Kurator Mike Gessner – und lässt seinen Sohn Cikomo Paul ans Drumset. Der Tausendsassa beeindruckt mit eigenwilligen Breakbeat-Kompositionen, die nicht mal vor Blastbeats zurückschrecken und so überraschend gut sind, dass das Schlagzeug aus der blanken Rhythmusfunktion herausgehoben wird. Frenetischer Applaus.
Aber die groben Bronzeplastiken von Stella Hamberg, die immer auch etwas Mythologisches umweht, haben genau diesen verrückten Soundtrack verdient, ob da nun ein geduckter Vogel auf dem Boden sitzt oder ein gigantischer Hai-Kiefer aufgebahrt ist. Eine Ausstellung, die sich zweifellos lohnt. Vom kulturellen Sommerloch ist in Potsdam bislang also nichts zu spüren.
Oliver Dietrich
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