Homepage: Das visuelle Gedächtnis
An der Filmhochschule HFF wurde ein Buch über den Dokumentarfilm in der DDR vorgestellt
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„Die Kinder von Golzow“, „Erinnerungen an eine Landschaft“ oder die „Wittstock-Filme“ – im Auftrag der DEFA entstanden in den vier Jahrzehnten DDR etwa 2250 Dokumentar- und Kurzfilme. Gezeigt wurden sie im Fernsehen oder als Vorfilm in den Kinos. Als Propaganda genutzt, dienten sie dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. Parallel dazu entstanden aber auch kritische Filme, die das politische System hinterfragten.
Die Themen sind so vielfältig, wie ihre Macher selbst. Ihre Bilder erzählen vom Alltag der Menschen in der DDR. Nicht zuletzt wurden die Dokumentarfilme zu Zeugen des politischen Umbruchs. Ihrer Bedeutung zum Trotz lagern sie seit Jahren ungeachtet in den Archiven. Namen wie die von Jürgen Böttcher, Karl Gass, Walter Heynowski, Volker Koepp, Gerhard Scheumann sowie Annelie und Andrew Thorndike tauchen dabei auf. Jetzt widmet sich der Sammelband „DDR erinnern, vergessen – Das visuelle Gedächtnis des Dokumentarfilms“ ihrer Geschichte. Die Autoren öffnen damit ein wichtiges Kapitel deutscher Filmgeschichte.
„Sperrmüll“ von Helke Misselwitz ist so ein Film. Die Professorin für Regie an der Potsdamer Filmhochschule HFF war lange Jahre als Dokumentarfilmerin tätig. In ihrem Film erzählt sie die Geschichte einer Ostberliner Band, die ihren Unmut auf weggeworfene Gegenstände trommelt. Was im Frühsommer 1989 als Dokumentation über vier jugendliche Musiker beginnt, wird durch die politischen Ereignisse zu einem unfreiwilligen Portrait der Wendezeit. Im Gegensatz zu den offiziellen Fernsehbildern zeigt „Sperrmüll“ jedoch eine andere Sicht auf die Ereignisse. Der 17-jährige Gittarist Enrico ist alles andere als begeistert von dem plötzlichen Wandel der politischen Verhältnisse. Beim Fall der Mauer bestimmen Zweifel und bewusste Abkehr von der allgemeinen Euphorie seine Gefühle. Der achtzigminütige Dokumentarfilm erzählt von Enricos Identitätssuche in dieser Zeit. Nun wurde der Film anlässlich der Buchvorstellung an der HFF Potsdam wieder gezeigt. Das anschließende Podiumsgespräch widmete sich der Frage, was vom DDR-Dokumentarfilm heute noch übrig geblieben ist. Welche Bilder und Motive etwa im visuellen Gedächtnis der Menschen überlebt haben.
„Was bleibt, sind die Filme. Sie werden als Zeitzeugen auch in Zukunft Bestand haben“, sagt Helke Misselwitz. Für die Professorin sind die DEFA-Dokumentarfilme Zeugnisse einer vergangenen Generation, die heute aktive Erinnerungsarbeit leisten. „Dennoch blieben die Filme in der Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte weitgehend unberücksichtigt“, stellt Misselwitz bedauernd fest. Dabei können sie durch ihre Visualität gerade junge Menschen für Geschichte begeistern.
Dass das Potenzial dieser Filme bis heute keine ausreichende Würdigung erhalten hat, davon ist auch Peter Babel, Professor für Kamera an der Filmhochschule Potsdam, überzeugt. „Wenn es um den DEFA-Film geht, wird überwiegend an die systemtreuen Propagandafilme gedacht. Die kritischen Dokumente werden vielfach ausgeblendet.“
Babel, der in der DDR oft mit dem Filmemacher Thomas Heise zusammengearbeitet hat, bleibt ein weiterer Aspekt des DEFA-Alltags in Erinnerung: „Damals wurden Filme ausgezeichnet, nicht Einzelpersonen. Es war das Team, das zählte. Dass bleibt für mich von dieser Zeit.“ Den heutigen Umgang mit der DDR-Geschichte empfindet Babel häufig als zu undifferenziert und verquer. Für ihn zeigt sich dieser Umstand besonders dann, wenn an authentischem Material am Schneidetisch manipuliert wird. Unterlegt mit einem neuen Ton finden sich seine Bilder und die vieler Kollegen in anderen Filmen wieder, die plötzlich eine ganz andere Wahrheit verkünden.
Die Autoren des vorliegenden Sammelbandes versuchen genauer hinzuschauen. Vergessene und bekannte Filme werden vorgestellt, ästhetische und inhaltliche Aspekte hinterfragt. Dabei bilden die Beiträge keine Einheit, sondern sind bewusst pluralistisch formuliert. So ist das Buch ein vielseitiges und äußerst lohnenswertes Dokument deutscher Filmgeschichte. Anja Priewe
Tobias Ebbrecht / Hilde Hoffmann / Jörg Schweinitz (Hg.): DDR erinnern, vergessen. Das visuelle Gedächtnis des Dokumentarfilms, Schüren Verlag, Marburg 2009, 348 Seiten, 29,90 Euro.
Anja PrieweD
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