Von Erhart Hohenstein: Das Volk wählt, der König entscheidet
Stadtrundgang zum 200. Jubiläum der ersten Stadtverordnetenversammlung: Potsdamer „mit Migrationshintergrund“ spielten in der Stadtpolitik eine herausragende Rolle
Stand:
Am 12. und 13. März 1809 durften die Potsdamer Bürger nach Erlass der Preußischen Städteordnung erstmals eine Stadtverordnetenversammlung wählen. Dabei zog mit Elias Daniel Itzig (1772-1818), der auf Hermannswerder eine Lederwarenfabrik betrieb, auch ein Jude in das 60-köpfige Gremium ein. Dies dürfte trotz der weitgehenden rechtlichen Gleichstellung der Juden durch die preußischen Reformen damals in ganz Brandenburg einmalig gewesen sein, sagt die Historikerin Silke Kamp, und bestätige ein weiteres Mal Potsdams Ruf als „Stadt der Toleranz“. Itzig, der später zum Christentum übertrat und sich Hitzig nannte, wurde am 3. August sogar in den Magistrat gewählt, war also Stadtrat.
200 Jahre nach diesem Ereignis führte Silke Kamp auf einem Stadtrundgang zu historischen Stätten, die mit der Stadtverordnetenwahl zusammenhängen. Dabei ging sie besonders auf die Rolle ein, die im multikulturellen Potsdam Bürger „mit Migrationshintergrund“ spielten, wie heute formuliert würde. Dazu zählten neben den Juden vornehmlich die Franzosen, die nach dem Toleranzedikt von 1685 in Preußen eingewandert waren. Sie besaßen eine eigene Kirchengemeinde, Schule und Gerichtsbarkeit. In Potsdam wurde sie von Richter Guillaume de Saint Paul im Holländerhaus Benkertstraße 8, gleichzeitig sein Wohnhaus, ausgeübt. Hier kam auch sein Sohn Wilhelm (1776 - 1850) zur Welt, der 1809 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt wurde.
Wahllokal für das Holländische Viertel war übrigens die Große Stadtschule. Wie in den anderen elf wurde mittels handgroßer Kugeln abgestimmt; weiße bedeuteten Ja, schwarze Nein. Da nicht genügend Kugeln vorhanden waren, musste an zwei Tagen abgestimmt werden. Wahlberechtigt waren lediglich Männer, die die Bürgerrechte besaßen und über Grundbesitz und ein hinreichendes Einkommen verfügten. Von den etwa 13 000 Einwohnern erfüllten nur 949 diese Voraussetzungen
Für Wilhelm Sankt Paul, der seinen Namen eingedeutscht und den Adelstitel abgelegt hatte, rollten die Jakugeln. Dann schlugen ihn die Stadtverordneten mit einer Mehrheit von 36 Stimmen sogar zum Oberbürgermeister vor. Ein „Franzose“ als OB, das war dem von Napoleon geschlagenen und ins ferne Königsberg geflohenen König Friedrich Wilhelm III. dann offensichtlich doch zu viel der Integration. Er entschied sich für den Kandidaten mit den wenigsten Stimmen, den ehemaligen Polizeidirektor Jakob Heinrich Brunner. Der Karriere von Wilhelm Sankt Paul hat das kaum geschadet. Er wurde zunächst Stadtrat und Syndikus (also Rechtsvertreter) der Stadt, 1821 dann doch Oberbürgermeister.
Auf die Wahl des Stadtverordnetenvorstehers hatte der König keinen Einfluss. Dazu wurde auf der konstituierenden Sitzung am 20. März 1809 im Kommandantenhaus, heute Gedenkstätte Lindenstraße 54/55, der Buchhändler Karl Christian von Horvath bestimmt. Unschwer zu erraten: auch er ein Migrant, der mit seinem Vater, einem Geistlichen, aus dem Zomborer Komitat in Ungarn gekommen war. (Übrigens hat es die PWG 1956 nach Monaten nun doch geschafft, die Gedenktafel am Wohnblock des ehemaligen Horvathschen Grundstück durch Rückschnitt des Strauchaufwuchses wieder sichtbar zu machen.)
Dann wären da noch die niederländen Handwerker, für die König Friedrich Wilhelm I. von 1734 - 1742 die 134 roten Backsteinhäuser des Holländischen Viertels errichten ließ. Zu den 36 Einwanderern aus dem Tulpenland, die das königliche Angebot annahmen, zählte die Familie van den Bosch. Christian Ludwig van den Bosch, Enkel des Erbauers der Historischen Mühle, wurde ebenfalls als Stadtverordneter und dann als Stadtrat auch in den Magistrat gewählt.
„Bürger machen Politik - 200 Jahre Potsdamer Stadtverordnetenversammlung“, die vom Fördervereins des Potsdam-Museums und von Kulturland Brandenburg e.V. veranstaltete Reihe bietet im Themenjahr „Freiheit. Gleichheit. Brandenburg. Demokratie und Demokratiebewegungen“ weitere attraktive Veranstaltungen. Am Mittwoch, 9. September, wird die Führung mit Silke Kamp wiederholt. Am 11. September sprechen im Alten Rathaus der Fördervereinsvorsitzende Markus Wicke und Thomas Reich über die Stadtverordnetenversammlung in der Weimarer Republik, am 19. November stellt Thomas Wernicke im Stadthaus die „Volksvertretung“ der DDR-Zeit vor. Am 13. September führt Hartmut Knitter zu den „Orten der Potsdamer Stadtparlamente“.
Erhart Hohenstein
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