Landeshauptstadt: Debatte um den Landtagsneubau am Alten Markt
Wie viele „Bauaffären“ noch, ehe personelle Konsequenzen gezogen werden?Wie die meisten Bürger Potsdams haben auch wir die letzten Entwicklungen bezüglich des Stadtschlosses mit Besorgnis verfolgt.
Stand:
Wie viele „Bauaffären“ noch, ehe personelle Konsequenzen gezogen werden?
Wie die meisten Bürger Potsdams haben auch wir die letzten Entwicklungen bezüglich des Stadtschlosses mit Besorgnis verfolgt. Eine wahrscheinlich historische Chance wird vertan, obwohl die grundsätzliche Entscheidung des Wiederaufbaus schon längst gefallen ist. Die Linkspartei macht es sich dabei relativ leicht. Man wäre schon immer dagegen gewesen. Dabei scheint sie aber zu übersehen, dass es bei den letzten Abstimmungen nicht darum ging, ob, sondern wie das Schloss wieder aufgebaut werden soll. Ja, wir finden auch, dass Schulen und andere öffentliche Einrichtungen zu wenig Geld bekommen. Ja, eine Bürgerabstimmung ist eine gute Idee. Aber diese Diskussion ist ein Jahr zu spät! Diese Entscheidung ist in der Stadtverordnetenversammlung längst gefallen und auf Grund dieser Entscheidung ist schon viel Geld ausgegeben worden. Jetzt den Wiederaufbau „hintenrum“ zu blockieren ist unfair und unproduktiv. Als große „Böse“ werden allerdings gar nicht die Mitglieder der Linkspartei dargestellt, sondern die Vertreter der anderen Fraktionen, die sich gegen den B-Plan ausgesprochen haben. Warum?
Wir haben oft erlebt, wie den Stadtverordneten von Seiten des Bauamtes und der Baubeigeordneten die Pistole auf die Brust gesetzt worden ist. Man müsse jetzt die Zustimmung geben, sonst wäre eine Förderung nicht mehr möglich, sonst würde geklagt werden, sonst sei der Zeitplan gefährdet Die Mitglieder der verschiedenen Fraktionen haben in den letzten Jahren viele Kröten schlucken müssen, um nicht als Blockierer dazustehen. Schlechte Kompromisse wurden unter Zeitdruck durchgeboxt: Ein Klotz eines Parkhauses mit Sichtbeziehung zum Schloss Babelsberg, Baurecht in Gärten zur Sanierung von Villen, zweifelhafte Großprojekte vom Potsdam-Center bis zum Spaßbad – lange ließe sich die Liste der Projekte fortsetzen, zu der die Stadtverordneten nur unter Druck zugestimmt haben und manchmal hatte man sogar das Gefühl, der Zeitdruck wurde künstlich hergestellt, um zur gewünschten Zustimmung zu kommen. Diesmal ist diese Rechnung nicht aufgegangen. Zu groß waren anscheinend die Bedenken einzelner Stadtverordneten, dass es sich bei dem „Landtagsschloss“ eher um einen zu großen Schuhkarton handeln würde. Die Frage stellt sich von alleine: Wie viele „Bauaffären“ müssen eigentlich noch passieren, ehe personelle Konsequenzen gezogen werden?
Feinabstimmung ist jetzt gefragt, Gespräche, ein zustimmungswürdiger B-Plan, ein starker Oberbürgermeister, der diesen dem Land vermitteln kann. Bei einem derart wichtigen Projekt muss die Zeit sein um die Grundlagen für einen qualitätsvollen Wiederaufbau zu schaffen. Denn die Zeit, um heutige Planungsfehler später zu begutachten, werden wir im Überfluss haben. Festzustellen bleibt: Ja, wir und viele andere Bürger wollen das Stadtschloss – aber eines, für das wir uns hinterher nicht schämen müssen.
Der Vorstand des Vereins Berliner Vorstadt e.V. und der Vorstand der Nachbarschaftsinitiative am Neuen Garten zu Potsdam e.V.
Der Landtag gehört in die Stadtmitte
1938 rief der Maler Philipp Franck begeistert aus: „Rom ist schön, vielleicht die schönste Stadt der Welt. Aber mein Potsdam und meine Havel sind mir lieber.“ Diese Äußerungen sollen doch wohl die landschaftlichen Vorzüge Potsdams und seine Kunst, besonders die Architektur würdigen. Der Alte Markt mit Stadtschloss, Nikolaikirche, Rathaus und den Bürgerhäusern war bis zu seiner Zerstörung im April 1945 und bis zum endgültigen Abriss des Stadtschlosses städtischer und baukünstlerischer Mittelpunkt. Jetzt haben wir in Potsdam die Chance, die historische Mitte als barockes Kleinod zurückzugewinnen. Was sind das für Potsdamer und Abgeordnete, die sich dagegen aussprechen? Wir sind sehr enttäuscht über das Abstimmungsergebnis und empfinden Unverständnis und Niedergeschlagenheit.
Heiderose und Klaus Tappe, Potsdam
Die Chance für den Neuanfang
Ich war überrascht von der deutlichen Ablehnung des Landtagsschlossbauplans durch die Stadtverordneten in ihrer zweiten Abstimmung – aber deprimiert bin ich deshalb nicht! Völlig falsch ist aus meiner Sicht der Versuch, den gescheiterten Plan noch irgendwie durchbringen zu wollen. Im Gegenteil soll man die Entscheidung als Chance für einen anderen Ansatz begreifen. Man muss kritisch erfragen, warum der Plan scheiterte. Neu war die Feststellung aus den Reihen der Schlosskoalition, dass die Landtagspläne nach Herrn Speer eine Mogelpackung sind, die womöglich die Wiedergewinnung des Stadtschlosses auf Dauer ausschließen würden. Ich bin überzeugt, dass es bessere Lösungen für Potsdams Mitte gibt und kann die aufgeregte Endzeitstimmung „Jetzt oder nie“ nicht nachvollziehen. In der jetzigen Situation halte ich eine Befragung aller wahlberechtigten Potsdamer zu ihren Vorstellungen für die Mitte für unverzichtbar. Nicht nur die Suggestivfrage „Wollt Ihr das (von den Stadtverordneten abgelehnte) Landtagsschloss haben, ja oder nein?“ Es muss möglich sein, alternative Ansätze zu entwickeln. Meine persönliche Vision ist folgende: Wenn sich der Landtag nicht für die Rekonstruktion des Kremls und auch nicht für einen gut vorstellbaren Neubau in der Speicherstadt entschieden hat, dann kommt er in die Stadtmitte – aber nicht ins Stadtschloss sondern in einen Neubau neben dem Alten Markt, wo jetzt das Wellblechtheater steht. Die dem Alten Markt zugewandte Seite kann mit einer Fassade verkleidet sein, die dem früheren Palais Barbarini nachempfunden wird. Auf dem Stadtschlossgrundriss wird auf den alten Fundamenten das Fortunaportal, dessen Mittelteil bereits steht, mit seinen Halbbögen nach historischem Vorbild wieder errichtet. Daran können sich die zwei Kopfbauten anschließen, die in den oberen Etagen Büros des Landtages oder Nutzungen der Universität Potsdam beherbergen können. Das Erdgeschoss sollte Gastronomie und öffentlichen Nutzungen vorbehalten sein. Der Rest der Schlossfläche bleibt zunächst frei und wird als Grünfläche gestaltet. So lässt sich die Mitte lebendig gestalten, der Tourismus und die Wirtschaft befördern.
Dipl.-Ing. Ralf Jäkel, Linkspartei.PDS- Stadtverordneter
Ohne die Linken geht eben nichts
Als offener Neinsager zum Landtagsneubau möchte ich daran erinnern, dass die Linkspartei.PDS unter der Aussage „Das Schloss kann warten“ die meisten Wählerstimmen erhalten hat und bei allen ihren Anträgen zu Schulen, Kita, Verkehrswegelösung u.v.a.m. von diesem Stadtpunkt ausgegangen ist. Die Schlossfraktionen versprachen „Das Schloss kommt“ mit dem mehr oder weniger geäußertem Zusatz – auch ohne die Linken. Feige Neinsager aus den eigenen Reihen haben nunmehr zu der blamablen Situation geführt, dass das Schloss nicht mehr nur warten kann, sondern warten muss. Prompt wird in der ansonsten beschimpften SED Manier dem „Klassenfeind“ die Schuld gegeben. Ich bin weit entfernt davon zu erwarten, dass die Erkenntnis ausgesprochen wird: Ohne die Linken geht eben nichts; aber eine Entschuldigung bei den betrogenen Wählern der Schlossfraktion für eine leichtfertige Aufgabe einer Mehrheit wäre wohl angebracht – oder halten Sie diese Aufforderung von mir für anmaßend, wenn man so meine SED-Herkunft in Betracht zieht?
Siegmar Krause Stadtverordneter seit 1990 Fraktion Linke.PDS
Zum pro & Contra Bürgerbefragung
Man kann die Stadtverordneten natürlich solange abstimmen lassen, bis man das wunschgemäße Ergebnis erzielt hat. Am besten vorher den Druck auf die Skeptiker noch mehr erhöhen, dann klappt“s vielleicht wirklich im 3. Anlauf. Besonders demokratisch erscheint mir das nicht. Eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt für eine Denkpause gekommen und vor allem die längst überfällige Einbeziehung der Bürger in den Entscheidungsprozess.Eine Bürgerbefragung, wie von der PDS angeregt, wäre der richtige Weg. Dazu muss man das Projekt bzw. die Fragen, um die es jetzt geht, natürlich zunächst in verständlicher Form öffentlich vorstellen. Das wird auch eine gewisse Zeit brauchen, aber bei einer solch grundlegenden Frage wie dem Aufbau des alten Schlosses können einige Wochen oder Monate mehr nicht wirklich entscheidend sein. Doch immer wenn es um die entscheidenden Fragen geht, scheint der Bürger in Potsdam außen vor zu bleiben. Das war schon beim Niemeyer-Bad so und wird beim Stadtschloss offenbar genauso gehandhabt. Dabei hat sich die Stadt das hehre Ziel auf ihre Fahne geschrieben, Bürgerkommune werden zu wollen. Nur in der Praxis kommt davon bisher nicht viel an.
Rainer Roth, Bürgerforum, Potsdam
Zum Pro & Contra Bürgerbefragung
Wenigstens kann man in der PNN im Gegensatz zu anderen Tageszeitungen auch Stimmen lesen, die das angedachte Vorhaben nicht in seiner Gesamtheit, sondern so, wie es nach des Bürgermeisters und der Schlossfraktion Absicht laufen soll, in Frage stellen. Nichts anderes hat ja die Abstimmung in der StVV gezeigt. Es bleiben nämlich tatsächlich Fragen danach unbeantwortet, wie die Verkehrsführung der Breiten Straße und deren Fortsetzung bis nach Geltow dann und vor allem ab wann gestaltet werden sollen, welches Chaos aus der Verkehrssituation für eine Übergangszeit zu erwarten ist oder nicht, wie viel die ganze Neugestaltung der Verkehrsführung für die Stadt Potsdam und deren Bürger an Kosten verursacht und wie das finanziert werden soll etc. pp.. Schuldzuweisungen gegen die PDS und andere Lokalpolitiker bzw. Fraktionen wegen ihres Stimmverhaltens sind schnell erbracht, sie kanalisieren und sind in der Sache wenig effektiv. Die Stadt sollte die Erschließung erst einmal so sichern, wie sich der Gesetzgeber das im BauGB auch vorgestellt. Dann nämlich wäre auch die „Oberste Bauaufsicht“ (Ref. 25 MIR) nicht angehalten, mahnend zu reagieren (was sie sonst zweifelsfrei tun müsste). Letzterer Fakt ist nicht unbedingt ein Kennzeichen für effizientes und problemorientiertes Arbeiten in der betreffenden Fachverwaltung.
Dipl.-Ing. Frank Dohrmann, Borkwalde
Preußen-Disneyland in Potsdams Themenpark
Preußische Demokraten können sonnabends vor Soldatenfriedhöfen ihre Transparente halten, wenn es gegen identitätspolitisch lange vernachlässigte Jugendkulturen der neuen Rechten in der Mark geht. Das ist lobenswert. Die selben preußischen Demokraten sind dann wieder so beweglich und schwenken montags ihre schwarz-weißen Fähnchen mit Adler und Krone. Dann geht es um die vermeintliche Zukunft aus der Kraft der Vergangenheit. Dann rettet das Potsdamer Bürgertum die monarchistische Fortschrittlichkeit und rückt sie in strahlendes Licht. Damit setzen SPD, Grüne, CDU mit inzwischen starker Hilfe der Landes-PDS ein Identitätsprojekt zum Fixpunkt ihres bürgerlichen Selbstverständnisses, ihres Verständnisses von Mandat und Wählerwille. Dieses „Residenzschloss“ besteht nur als Vorstellung, um Identität gegen die „Extreme“ herzustellen. Leider haben die preußischen Sozialdemokraten von heute nichts mehr mit Sozialdemokraten in Preußen zu tun. Sie passen deshalb hervorragend in dieses Preußen-Disneyland, in Potsdams Themenpark und innerstädtischer Spielwiese für verschrobenes bürgerschaftliches Engagement.
Heiner Stahl, Potsdam
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