Landeshauptstadt: Debatte um Gedenkfeier
Stadtpolitiker erinnern an Opfer der „Rassenhygiene“
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Innenstadt – Am 10. März 1934 fällte das Potsdamer Erbgesundheitsgericht in der Lindenstraße 54 das erste Urteil über eine Zwangssterilisation. An diesen Vorgang vor 78 Jahren erinnerte Claus-Peter Ladner von der Fördergemeinschaft Lindenstraße 54 am Samstag im Hof der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit – es war das erste Gedenken in dieser Form an diesem Ort. An der Veranstaltung nahm ein kleiner Kreis der Fördergemeinschaft und der Stadtfraktionen CDU, SPD, Linken und Grünen teil. Diese legten Blumengebinde an der Plastik „Das Opfer“ von Wieland Förster nieder.
Einen Tag vor der Veranstaltung hatte Hannes Püschel von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA Brandenburg) öffentlich Kritik an der Gedenkfeier geübt. Försters Plastik würdige die Funktionsträger des Naziregimes, die nach 1945 hier inhaftiert waren, behauptete er. Es sei daher für die Vereinigung VVN-BdA unzumutbar, an der Veranstaltung teilzunehmen.
Laut Claus-Peter Ladner steht Försters Kunstwerk „für das Gedenken an alle Opfer totalitärer Gewalt im 20. Jahrhundert.“ Ladner bedauerte die „starre Haltung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, die es ablehnt, mit uns und anderen Opfern zusammenzuarbeiten.“ Es sei gerade ein Merkmal dieser einzigartigen Gedenkstätte, „dass die Haftanstalt von einem totalitären System in ein anderes überging, quasi von Hand zu Hand.“ Dass in der Lindenstraße 54 zu verschiedenen Zeiten schreckliches Unrecht geschehen sei, „ist ein Fakt, dem man sich stellen muss“, sagte Pete Heuer (SPD). Der Stadtverordnete erzählte, dass seine Urgroßeltern und Großeltern aus Deutschland vor den Nazis fliehen mussten und später in der Sowjetunion unter Stalin ermordet oder bis in die fünfziger Jahre in der Verbannung leben mussten. „Insofern möchte ich bezweifeln, dass Herr Püschel für VVN-BdA die Deutungshoheit oder einen Alleinvertretungsanspruch darüber hat, was antifaschistische Position ist“.
Gabriele Schnell, Kuratorin der am Freitag öffnenden neuen Dauerausstellung „Macht gegen Recht“, schilderte authentische Schicksale von Opfern: etwa die Geschichte eines Vaters dreier Kinder, der mit der Diagnose „erbliche Fallsucht“ unfruchtbar gemacht wurde. Der Ausstellungsteil über die NS-Zeit, welche auch die Tätigkeit des Erbgesundheitsgerichtes dokumentiert, ist jedoch noch nicht vorhanden. Hierfür sollen 330 000 Euro aus dem Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der DDR zur Verfügung stehen. Laut Ladner sei es der Initiative der Fördergemeinschaft zu danken, dass der Tätigkeit des Erbgesundheitsgerichtes „im Vorderhaus“ entsprechender Raum gegeben werde. Der Bundestag ächtete 1988 die Zwangssterilisation als nationalsozialistisches Unrecht. Die Opfer gelten aber offiziell nicht als Verfolgte des Naziregimes und haben keinen Entschädigungsanspruch. Günther Schenke
Günther Schenke
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