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In Golm verständigten sich Forscher über das Innovationsgebiet der Systembiologie
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In Golm verständigten sich Forscher über das Innovationsgebiet der Systembiologie Von Kerstin Koch „Biologische Systeme als Ganzes verstehen zu wollen ist zuerst einmal nichts Neues“, betont Dr. Ulrich Schwarz vom Max-Planck-Institut (MPI) für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm. „Wirklich neu ist hingegen die enorme Menge an Daten, die uns heute vorliegt.“ Gerade einmal 50 Jahre ist es her, dass James Watson und Francis Crick ihr Modell der DNA-Struktur vorstellten. Inzwischen ist die Erbsubstanz vieler wichtiger Organismen in ihren Einzelteilen bekannt: Das menschliche Genom besteht aus 25 000 Genen, Hefe hat 6000 Gene, die Fruchtfliege 16 000 und die Acker-Schmalwand hat sogar 26 000 Gene. Hochleistungscomputer und moderne Hochdurchsatzverfahren ermöglichen heute die Erhebung der biomolekularen Daten. Am MPI für molekulare Pflanzenphysiologie in Golm entwickelt Prof. Joachim Selbig neue Algorithmen und Modelle, um die Daten zu verstehen, die dort zu den Genen, Proteinen und Stoffwechselprodukten von Pflanzen in großen Datenbanken gesammelt werden. Am MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung stehen zwar neuartige Materialien im Vordergrund der Untersuchungen, aber auch hier ist das Interesse an biologischen Systemen und ihrem ganzheitlichen Verständnis groß. Hat die Natur doch viele Materialien hervorgebracht, deren Eigenschaften künstlichen Stoffen weit überlegen sind. Auch hier stellt sich also die Frage, wie die Funktion des Systems mit seinen molekularen Grundlagen zusammenhängt. Prof. Dr. Michael Lässig von der Universität Köln vergleicht die Systembiologie mit dem Erlernen einer Sprache. Watson und Crick haben sozusagen das Alphabet des Genoms entschlüsselt. Inzwischen sind die Buchstabenfolge und Teile der Grammatik bekannt. Zukünftig heißt es nun, den Sinn des ganzen Textes zu verstehen. Folglich gilt es herauszufinden, wann welche Gene zusammen welche Funktion ausüben. Und warum sie dies machen. „Denn ein einzelnes Gen“, führt Lässig weiter an, „weiß noch nicht einmal, ob es an oder aus ist.“ Dabei werden für bestimmte biologische Funktionen verschiedene Gene aktiv. Gleichzeitig kann ein und dasselbe Gen jedoch in ganz verschiedenen Funktionen eine Rolle spielen. So entstehen sehr komplexe Netzwerke, deren Aufbau und Verknüpfungen gefunden werden müssen. Denn es sind vor allem die Unterschiede in den genetischen Netzwerken die evolutionsgeschichtlich zur Entstehung verschiedener Spezies führten. Beispielsweise welche Gene für die Veränderungen bei den Galapagos-Finken zuständig sind. In den vergangenen Jahren wurden die biomolekularen Informationen in Genkarten, Proteindatenbanken und komplexen Stoffwechselnetzwerken gespeichert. Aus der Kenntnis der einzelnen Bestandteile gilt es nun, die Funktionsweise einer einzelnen Zelle aber auch eines kompletten Organismus zu begreifen. Was sind seine Systemeigenschaften? Was kontrolliert oder steuert das System? Welche Prinzipien stecken hinter dem System und wie verändert es sich im Laufe der Zeit? Und da sind wir wieder in Golm. Noch ist der Zusammenhang zwischen genetischen und strukturellen Eigenschaften von Pflanzen vollkommen unerforscht. Dr. Schwarz erklärt während des Symposiums zur „Systembiologie“ vergangene Woche in Golm die mögliche Zusammenarbeit der beiden Max-Planck-Institute anhand eines Beispiels. Warum knickt eine Pflanze bei Wind und Wetter nicht um? Die Theoretiker entwickeln dazu Hypothesen, die sie in silico (am Computer) mit Hilfe mathematischer Modelle simulieren. In vitro (im Reagenzglas) würden dann am MPI für Pflanzenphysiologie Experimente durchgeführt, ob die Hypothesen richtig sind. Stimmen sie, können die Ergebnisse in vivo (am Lebewesen) angewandt werden. Langfristig entstünden so neue Produkte für Biotechnologie, Medizin und Pharmakologie.
Kerstin Koch
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