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POSITIONEN: Demokratieabbau durch die kalte Küche

Potsdam droht durch neue Kommunalverfassung ein Drei-Parteien-Parlament Von Jürgen Stelter

Stand:

Mit der Kommunalwahl am 28. September tritt in Brandenburg eine neue Kommunalverfassung in Kraft. Diese legt die Spielregeln für die Städte und Gemeinden fest. Dazu gehören Fragen wie: Dürfen sich Kommunen wirtschaftlich betätigen? Werden Landräte direkt gewählt? Aber auch: Wie sind Kreistage und Stadtverordnetenversammlungen organisiert? Während die beiden ersten Fragen in den Medien ausführlich diskutiert wurden, ist die Erhöhung der Hürden zur Bildung von Fraktionen an der Öffentlichkeit vorbeigegangen. Dabei läuft dies auf eine Einschränkung der Demokratie hinaus. Bisher konnten zwei Stadtverordnete eine Fraktion bilden, ab Herbst benötigt man in Potsdam vier. Dabei geht es bei einer Fraktionsbildung nicht darum, sich bloß ein Etikett zu verpassen. Vielmehr werden damit grundsätzliche Rechte gewährt – oder verwehrt. Stadtverordnete, die nicht in Fraktionen organisiert sind, dürfen keine Anträge auf die Tagesordnung setzen, dürfen nicht in den Fachausschüssen mitstimmen und erhalten kein eigenes Büro und keine Mittel zur Organisation ihrer politischen Arbeit.

Das Problem ist keinesfalls trivial. Experten sprechen offen von Verfassungsbruch. Gleichheitsgrundsatz und Minderheitenschutz sind zwei elementare Grundsätze unserer Demokratie, die mit der höheren Fraktionsmindeststärke in Frage gestellt werden. Offen zutage tritt die Ungleichbehandlung, wenn man für die Wahl die jeweilige Prozenthürde darstellt. In kleineren Kommunen müssen Parteien und Wählervereinigungen dann neun Prozent und mehr erreichen, in Potsdam immerhin sieben Prozent. Selbst im Bundestag genügen fünf Prozent. Erst kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht den Bündnisgrünen aus Schleswig-Holstein Recht gegeben und die dortige Fünf-Prozent-Hürde für Kommunalparlamente abgeschafft. Das Gleichheitsprinzip und den Minderheitenschutz erachteten die Richter als so hohe Güter der Demokratie, dass deren Einschränkung auf kommunaler Ebene nicht zu rechtfertigen ist.

Wenn man gedanklich die neuen Regeln auf das aktuelle Potsdamer Stadtparlament anwendet, dürfte mehr als ein Fünftel der Stadtverordneten keine eigenen Themen einbringen und wäre von der Meinungsfindung in den Fachausschüssen ausgeschlossen. Das beträfe die jetzigen Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, Die Andere, Bürgerbündnis/FDP und die Familienpartei. Einzig Die Linke, SPD und CDU würden all ihre Rechte behalten – und die freiwerdenden Fraktionsmittel einstreichen. Genau diese drei Parteien haben die Kommunalverfassung im Landtag diskutiert. Während die Große Koalition aus SPD und CDU eine vernünftige Vorlage des Innenministeriums abänderte, schwieg die Linksfraktion vielsagend. Hauptredner in der abschließenden Debatte war der Vorsitzende des Innenausschusses, Hans-Jürgen Scharfenberg, bekanntlich auch Vorsitzender der Potsdamer Linksfraktion. Er verlor kein Wort zu diesem Problem. Ein Gentleman genießt und schweigt.

Den Verfassungsbruch im Blick, müssen die kleineren Parteien warten. Gegen das Gesetz klagen darf nur, wer sich dadurch in seinen Rechten beeinträchtigt sieht. Da es erst ab Herbst gilt, kann erst dann geklagt werden. Während die Potsdamer Bündnisgrünen mit der Erfahrung der letzten Wahlergebnisse sehr gute Chancen haben, die neue Hürde zu überspringen, haben kleinere Kreisverbände schon angekündigt, im Fall der Fälle vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Ein Argument der Drei-Parteien-Koalition aus SPD, CDU und Ex-PDS ist aber schon zu erahnen: Das Gesetz diene dazu, den Rechtsextremisten von Vornherein die Beteiligungsmöglichkeiten zu nehmen. Dann aber würde man auf die Ewiggestrigen zielen und die Meinungsvielfalt treffen. Die Demokratie kann nicht verteidigt werden, indem man sie abschafft!

Der Autor ist Kreisvorsitzender von Bündnis 90 / Grüne in Potsdam.

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