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Landeshauptstadt: Den eigenen Lebensplan entwerfen

Weniger Schulabgänger ohne Abschluss: Wie Schulverweigerer in der „Oase“ wieder Freude am Lernen finden

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„Die Schwächsten verdeutlichen den Fehler im System“, meint Bodo Ströber, Leiter von LEO, dem Lernprojekt für Schulverweigerer im Jugendhaus „Oase“ auf Hermannswerder. Wolle man, wie es Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) ankündigte, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss in fünf Jahren halbieren, dann müsse sich Schule grundlegend verändern, individuelle Lernformen schaffen und Lehrer in die Lage versetzen, auf alle Schüler und ihre Besonderheiten einzugehen, so Ströber.

In die „Oase“ der Hoffbauerstiftung kommen Jugendliche dann, wenn der Faden zur Schule gerissen ist. Zwölf Mädchen und Jungen können hier zwei bis drei Jahre lernen und die Berufsbildungsreife erreichen. Reife aber bedeutet mehr als Wissen, bedeutet auch Kompetenz in entscheidenden Lebensfragen. Die Jugendlichen, die nicht selten aus schwierigsten sozialen Verhältnissen kommen, müssen sich ein Ziel setzen, wieder oder zum ersten Mal in ihrem Leben etwas wollen, eine Vision entwickeln, wo sie in zehn Jahren stehen wollen, egal was sie momentan daran hindert. „Wenn das klar ist“, so Ströber, „lassen wir uns von ihnen beauftragen, sie zu unterstützen.“

Zwei Lehrer und zwei Sozialpädagogen helfen den Schülern, selbstständig nach individuellen Wochenplänen zu arbeiten. In jahrgangsdurchmischten Gruppen lernen die Neuen von denen, die die ungewohnten Methoden bereits verinnerlicht haben. Schnell kommt die Gewissheit: Wenn ich da hingehe, lassen die mich nicht mehr los. „Wir holen morgens schon mal jemanden von zu Haus ab“, sagt Ströber. „Die Eltern aber dürfen ihr Kind nur ein einziges Mal wecken, dann muss es allein aufstehen und losgehen, Verantwortung übernehmen für sich selbst.“ Andererseits erhalten die Eltern den Auftrag, wenigstens eine Mahlzeit am Tag gemeinsam mit ihrem Kind einzunehmen. Denn miteinander essen, bedeutet miteinander reden. Und das kommt in vielen der betroffenen Familien viel zu kurz. Möglicherweise überraschen die Kinder ihre Eltern mit einem selbst gekochten Gericht, denn auch das lernen sie in der „Oase“.

Der Bezug zur Lebenswirklichkeit ist der Schlüssel zum Lernerfolg, zum Beispiel, wenn die Jugendlichen im Literaturprojekt über „Romeo und Julia“ das Problem rivalisierender Banden analysieren und ganz nebenbei mit Shakespeares Worten Flirten lernen. In Physik oder Geografie verläuft der Weg der Erkenntnis oft vom Experimentieren zum Begreifen, etwa, wenn ein selbst gebauter Vulkan zum Ausbruch gebracht wird. Peu à peu kehrt die Freude am Lernen zurück, auch weil es lange Zeit keine Noten gibt.

Nachmittags können sich die Schüler künstlerisch ausprobieren oder sie ziehen los, um zu schauen, wie andere Leute ihr Leben einrichten. Sie haben den Chefkoch vom „Juliette“ gefragt, warum er jeden Tag 16 Stunden arbeitet. Oder Fernfahrer an der Raststätte in Michendorf. „Die Motivation anderer nachzuvollziehen, ist für die Jugendlichen wichtig, um ihren eigenen Lebensplan zu entwerfen“, erklärt Ströber. Notwendige Regeln und Disziplin lernen sie vor allem beim Sport, aber auch im Gespräch und beim Lösen von Konflikten, das häufig trainiert wird.

Einmal in der Woche verweigern die Lehrer das Lehren und tun, was ihnen Spaß macht. Wenn sie malen, am Computer basteln oder Kanu fahren, können die Schüler mitmachen, sich was abschauen. Das schafft Vertrauen. Ehemalige Schüler kommen später gern zu Besuch, weil die „Oase“ für sie ein Stück Lebensraum geworden ist. Antje Horn-Conrad

Antje Horn-Conrad

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