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Landeshauptstadt: Den Hebel finden

Franz Müntefering zur Zukunft der Arbeit

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Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) macht sich gerne selbst ein Bild. Derzeit reist der Vizekanzler durch Deutschland, um Einblick in die Realität der Arbeitswelt zu erhalten. Forschen Schrittes und wetterfest mit rotem Schal eilte er am Mittwochabend zum Potsdamer Kutschstall, um hier auf Einladung der Bundestagsabgeordneten Andrea Wicklein (SPD) an einem Thinkshop zur Zukunft der Arbeit teilzunehmen.

Demographischer Wandel, Globalisierung und die Entwicklung in Ostdeutschland waren Eckpunkte des Treffens. Wicklein sprach zum Einstieg davon, dass nun auch geistige Arbeit in anderen Ländern billiger produziert werden könnte. Und dass man nicht die Menschen aus den Augen verlieren dürfe. Wie zu erwarten redete Müntefering in seinem Intro der Vollbeschäftigung das Wort. „Es gibt viel mehr Arbeit als wir derzeit sehen“, sagte er. Und: „Wir sind und bleiben eine Industrienation.“ Wo es nun Arbeit gibt? Wenn er sich die Städte und Gemeinden anschaue, den Zustand der Straßen, Schulen und öffentlichen Einrichtungen, dann gebe es hier doch sehr viel zu tun. „Hier müssen wir aufs Gas treten“, sagt er. Ein Bild, das der pragmatische Westfale an diesem Abend öfter bemühte.

Müntefering meint die mangelnden öffentlichen wie privaten Investitionen. Deutschland sei Weltmeister im Sparen, nun müsste aber wieder investiert werden. Nicht nur durch Kommunen und Wirtschaft, auch die Hausbesitzer könnten sinnvolle Investitionen tätigen, die Arbeit schaffen und sich auszahlen – etwa in der energetischen Gebäudesanierung.

Dann die Debatte um den Kombi- und Mindestlohn: „Sie muss geführt werden“, fordert Müntefering. „Menschen mit einer Fünf-Tage-Woche müssen ihre Familie ernähren können.“ Die Arbeit werde durch einen Mindestlohn nicht ins Ausland abwandern: „Zum Frisör geht man hier, die Fenster werden hier geputzt.“ Müntefering hat für alles kurze, prägnante Sätze, die die Dinge recht einfach auf den Punkt zu bringen scheinen. Etwa: „Billig können andere besser.“ Also müsste Deutschland sich auf die Exzellenz in Wissen und Technologie verlegen.

Damit wir aber erst einmal so weit kommen, müsse vor allem auch in der betrieblichen Weiterbildung viel getan werden. Einerseits haben wir einen Fachkräftemangel, andererseits würden kaum noch Arbeitnehmer über 50 beschäftigt. Das gehe so nicht. Reserven sieht Müntefering dann auch noch bei den jungen Frauen, denen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert werden müsse. Und bei den Jugendlichen, für die es immer noch viel zu wenig Ausbildungsplätze gebe. Eine „stille Reserve“, so Müntefering. Doch hier müsse an der Ausbildung etwas getan werden: „Zwölf Prozent ohne Schulabschluss, bei Migrantenkindern 30 Prozent: Das sind katastrophale Zahlen.“

Prof. Joachim Ludwig von der Potsdamer Uni erläuterte dann die Bedeutung der Arbeitsforschung. Gerade auch für Brandenburg, wo es bei der Kooperation von Wirtschaft und Wissenschaft noch hapere. Von 470 bundesweiten Projekten der Arbeitsforschung gab es kein einziges in Brandenburg. Und: Für „Lebenslanges Lernen“ würden immer noch die Strukturen fehlen: „Die Qualität einer Ausbildung reicht nicht für eine Lebensspanne.“

Das weiß auch Müntefering. Er selbst wollte in Potsdam noch etwas dazu lernen. Qualifizierungsmatrix, optimierte Umsetzung, Auftragsspezifizierung – der folgende Vortrag zur Arbeitsgestaltung als Produktivitätsfaktor war dann doch recht spezifisch. Während an der Wand ein undurchschaubares Schaubild einer Wärmetauscheranalge erschien, tippte Müntefering unterm Tisch eifrig auf sein Handy ein. Erst als der Satz „planen trägt zur Persönlichkeitsförderung bei“ ertönte, nickte der Minister wieder.

In der Pause hört Müntefering geduldig den Menschen zu, die ihm von der Arbeitswelt erzählten. „Wir müssen den Hebel finden, um den Primat der Politik durchzusetzen“, sagt er dann mit Blick auf Unternehmen, die nur noch auf Rendite und Aktienkurse schauen. „Da sind wir knapp dran“, so sein Fazit.

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