Von Peer Straube: Den Landtag bauen, „wo der Pfeffer wächst“ Ein Stimmungsbild aus sieben Stadtteilen zum heutigen Baubeginn für das Stadtschloss
20 Jahre nach der Wende beginnt heute offiziell der Wiederaufbau des Stadtschlosses als neuer Landtag für Brandenburg. Aber ist es in den Köpfen der Potsdamer angekommen?
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20 Jahre nach der Wende beginnt heute offiziell der Wiederaufbau des Stadtschlosses als neuer Landtag für Brandenburg. Aber ist es in den Köpfen der Potsdamer angekommen? Oder gar in den Herzen? Eine Spurensuche am Tag vor dem symbolischen ersten Spatenstich.
ZENTRUM-OST, 10.50 UHR
Freundlich wird der Platz am Humboldtring von der Vormittagssonne beschienen. Nur wenige Menschen sind unterwegs, zwei Rentnerinnen halten ein Pläuschchen. Auf das Stadtschloss angesprochen, klappt bei beiden sofort das Visier runter. „Unnütz“, entfährt es der einen, die sich als Herta B. vorstellt. Die zweite will ihren Namen erst gar nicht nennen. „Die sollen das Geld lieber woanders reinstopfen“, grollt sie. „Potsdam hat genug Schlösser.“ Herta B. nickt eifrig. „Warum soll etwas Altes wieder neu aufgebaut werden?“, fragt sie. „Dann will ich auch die alte Slawensiedlung wiederhaben.“
BABELSBERG, 11.10 UHR
Am Taxistand vor dem alten Babelsberger Rathaus haben die Fahrer gerade wenig Kundschaft. Doch das Thema Stadtschloss bringt sie trotzdem in Fahrt. Schon die vor ein paar Jahren von der Stadt durchgeführte Befragung, wo der Landtag stehen soll, sei eine Farce gewesen, meint Dieter Colm. Die Möglichkeit einer generellen Ablehnung habe es gar nicht gegeben, „nur, wo’s hin soll. Wo der Pfeffer wächst, habe ich dann geschrieben.“ Sven-Oliver Koletzki pflichtet ihm bei. „Das wird ein Fremdkörper werden“, glaubt er, „weil’s für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sein wird“. Der Gedanke an die Verkehrsführung macht sie alle schon jetzt krank. „Wenn da mal ’ne Demo stattfindet, geht in Potsdam gar nichts mehr“, sind sie sich sicher.
AM STERN, 11.35 UHR
Vor dem Leibniz-Gymnasium genießen die Schüler in der Sonne ihre Pause. „Zum Stadtschloss haben wir keine Beziehung“, sagen Lisa Ihde, Mareike Renner und Franziska Kloss. Doch dann fällt den Mädchen aus der 13. Klasse der langwierige Kreuzungsumbau am Alten Markt ein und schnell reden sie sich in Rage. „Diese blöde Baustelle“, sagt Renner, „immer musste ich in Ersatzbusse umsteigen“. Kloss steuert die Meinung ihrer Großmutter zur Diskussion bei: „Meine Oma findet das Kacke. Sie sagt, das Schloss wurde zerbombt, abgerissen und Punkt.“ Ihde sieht es genauso. „Ich habe viele alte Leute gehört, die das auch ablehnen“, erklärt die 20-Jährige. Der Wiederaufbau sei „Schwachsinn“, befinden alle.
DREWITZ, 12.00 UHR
Am Ernst-Busch-Platz wartet Margot Hampel gemeinsam mit ihrer Freundin auf die Straßenbahn. Kaum zu glauben, doch hier gibt es die erste handfeste Pro-Schloss-Stimme. „Ich find’s gut“, sagt Hampel. „Das wird Identität stiften“, ist sich die 69-Jährige sicher. Als Kind hat sie noch in der alten Schlossruine gespielt. „Das war nicht in Ordnung, dass der Walter Ulbricht das abgerissen hat“, urteilt Hampel. Dann steigt sie in die Tram nach Hause – nach Potsdam-West.
WALDSTADT II, 13.10 UHR
Vor dem Waldstadt-Center lassen sich zwei Handwerker ihren Mittagspausen-Kaffee schmecken. Obwohl sie ihre Namen nicht nennen wollen, sind sie doch keine Schlossgegner. Mit „Wohlwollen“ sehe er dem Spatenstich entgegen, sagt der jüngere von beiden, der Am Stern wohnt. „Damit endlich der Schandfleck verschwindet und Potsdam eine schöne neue Mitte bekommt.“ Der ältere der zwei Männer ist nicht ganz so euphorisch. „Mir ist das vollkommen egal“, sagt der 52-Jährige aus Uetz-Paaren, „so lange sie bei uns auf dem Land nicht so’n Ding bauen“.
BRANDENBURGER VORSTADT, 14.05 UHR
Katja Stolle und Christoph Müller schieben ihr Baby spazieren. „Verhaltenen Optimismus“ empfindet Müller beim Gedanken an den Landtagsbau – „weil die Baustelle dann irgendwann auch wieder weg ist“. Stolle glaubt nicht, dass sich das Schloss positiv auf die Mitte der Stadt auswirkt. „Wer soll da lang laufen?“, fragt sie und zieht einen Vergleich zum Potsdamer Platz in Berlin. „Da sind zwar ein paar Geschäfte, aber so richtig bewohnt ist es doch nicht.“ Immerhin, „nett“ werde es sicher aussehen, doch „dass es eine Mitte wird, wo sich die Leute aufhalten, glaube ich nicht“.
JÄGERVORSTADT, 14.30 UHR
In einem kleinen Tante-Emma-Laden in der Weinbergstraße räumt Katja Reh Lebensmittel ins Regal. Eine richtige Meinung hat sich die 29-jährige Eisenhüttenstädterin, die seit fünf Jahren in Potsdam lebt, zum Landtagsschloss noch nicht gebildet. „Es ist die Frage, ob es identitätsstiftend ist oder nicht“, sagt sie und wiegt bedächtig den Kopf. „Für die alten Potsdamer ist es vielleicht ein Stück Geschichte, das wiederkommt“, glaubt sie. „Aber alles hat ja zwei Seiten.“
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