Homepage: Den Merapi verstehen
Gudrun Richter von der Universität Potsdam arbeitet daran, Vulkanausbrüche besser vorherzusagen
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Das Leben mit der Angst vor einem Vulkanausbruch ist für Mitteleuropäer nicht leicht vorstellbar. Die Geophysikerin Gudrun Richter von der Uni Potsdam vergleicht die Situation mit dem Leben hier an von Hochwasser bedrohten Flüssen wie der Elbe: „Auch da kennt man ja die Gefahr genau, und dennoch kommt jede Katastrophe überraschend.“
Java ist die am dichtesten besiedelte Insel Indonesiens, auf ihr befindet sich auch die Hauptstadt Jakarta. Einhundert Kilometer vor der Küste taucht die australische Kontinentalplatte unter die eurasische. „Eine Subduktionszone“, erläutert die Vulkanologin, „in der es häufig zu Schadensbeben kommt.“
Ziemlich genau im Zentrum Javas ragt der Merapi mit rund 3000 Metern hervor. Obwohl der „Feuerberg“ als einer der aktivsten und gefährlichsten Vulkane der Welt gilt, bleiben die Menschen in ihren Dörfer wohnen. Zuletzt kam es im Mai und Juni diese Jahres zu verstärkter Aktivität: zu Ascheregen und so genannten pyroklastischen Strömen, den gefürchteten glühend heißen Gesteinsmassen, die sehr schnell die Hänge herabfließen, wenn Teile des Lavadoms abbrechen. Der Lavadom bildet sich am Gipfel „wie Zahnpasta, die langsam aus der Tube gedrückt wird“, erklärt Richter.
Warum bleiben die Menschen trotzdem? Gudrun Richter war zum ersten Mal in der Zeit ihrer Diplomarbeit am Merapi. „Der Boden ist durch die vulkanischen Minerale äußerst fruchtbar“, sucht sie nach einer Antwort. Tabak, Reis, Bananen und Gemüse werden angebaut. Das erkaltete Geröll dient als Baumaterial. Gedeihen und Vergehen, die beiden Seiten der Natur, liegen am Fuße eines Vulkans dicht beieinander.
Wissenschaftler wie Gudrun Richter arbeiten daran, die Gefahr für die Menschen besser erkennbar zu machen. In einem relativ armen Land wie Indonesien gilt es, die Menschen möglichst spät zu evakuieren. Denn das ist teuer. Der Merapi wird zwar seit 1924 von seismischen Stationen überwacht. Und seit langem ist ein funktionierendes Frühwarnsystem samt Evakuierungsplan eingerichtet, der auch schon einmal 10 000 Menschen aus der Gefahrenzone brachte. Doch auf die Idee, die seismischen Aufzeichnungen der Erdaktivitäten mit Temperaturdaten der Gase, die Vulkane ausstoßen, in Beziehung zu setzen, kam noch niemand.
„Am Anfang meiner Arbeit“, erzählt Richter lächelnd, „dachte ich deshalb wirklich, meine Ergebnisse würden wie eine Bombe einschlagen.“ Denn auch wenn ihre Doktorarbeit erst Ende des Jahres fertig wird, ist die in Bremen geborene Wissenschaftlerin sicher, dass sich vulkanische Aktivitäten anhand der Temperaturschwankungen tatsächlich nachweisen lassen. Je höher das Magma im Vulkan steigt, desto heißer werden die an der Oberfläche gemessenen Gase. Oder im Wissenschaftsjargon der 31-jährigen Vulkanologin: „Die Analyse von Temperaturdaten ist nicht trivial.“
Für aussagekräftige Daten benötigt man allerdings Temperaturmessungen, die in derselben Messfrequenz erfolgen wie die seismischen Aufzeichnungen. Bis zu Gudrun Richters Arbeit wurden Gastemperaturen nur monatlich gemessen, während seismische Ereignisse maximal einige Minuten dauern. Ihre Messergebnisse besorgte sie sich daher über eine Reihe von Sensoren, die sie zum Teil selbst an Fumerolen, im Gestein klaffende dampfende Erdspalten, anbrachte.
Es sei wichtig, sich selbst ein Bild von der Umgebung zu machen, in der man forsche. Regengüsse, die in die Erdspalten laufen, können die Messergebnisse verzerren. „Was 100 Millimeter Regen innerhalb einer Stunde bedeuten, versteht man erst, wenn man tropischen Regen erlebt hat“, erzählt Richter. „Und die Vegetation wächst so schnell“, hat sie dabei überrascht festgestellt. Es könne sein, dass bereits nach kurzer Zeit die wuchernden Baumkronen das Sendesignal, das von den Thermometern ausgeht, auf dem Weg zur Talstation behindern. Wegen der aggressiven Gase, wie Schwefelsäure und gasförmiger Salzsäure, die um den Vulkankrater aus der Erde strömen, müssen die Forscher oben auf dem Merapi sogar Atemmasken tragen. Die Messinstrumente werden in Glas eingekapselt, damit die metallischen Thermometer nicht korrodieren.
Auf einer Merapi-Konferenz, die im September auf Java zusammen trifft, wird Gudrun Richter ihre Forschungsergebnisse vorstellen. Sie hofft, dass die Temperaturmessung in das Frühwarnsystem aufgenommen wird. Das muss sicher funktionieren. „Denn der Merapi kann auch richtig explosiv werden“, warnt die Vulkanologin.
Matthias Hassenpflug
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