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„Raumpioniere“ beleben die ländlichen Regionen
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„Kost the Ost“ – unter diesem Motto war der Regionalforscher Ulf Matthiesen mit Studenten aufgebrochen, um im Brandenburger Land nach regionalen Gaumenfreuden zu suchen. Es müsse einiges auf dem ländlichen Speiseplan geschehen, wolle Brandenburg sich für Ausflügler lukullisch profilieren, meint Matthiesen. Die Glanzpunkte der Region müssten noch entdeckt werden. „Suche nach dem Paradies“ ist der Titel eines Films von Dorothea Breamer. Zusammen mit Studierenden der Fachhochschule Potsdam hat sie sich im Land Brandenburg auf diese Suche begeben. Gefunden haben die Dokumentarfilmer „Raumpioniere“, die nun auch ein Forschungsthema am FH-Studiengang Kulturarbeit sind.
„Raumpioniere“ erkunden die schrumpfenden Städte des Ostens. Dort organisieren sie Projekte und Aktionen. Dörfer und Siedlungen haben oft nur noch eine ausgedünnte Bevölkerung. Das bedroht die örtlichen Infrastrukturen. Was vor einigen Jahren jedoch noch ein ungebrochener Trend war, kehrt sich möglicherweise gerade um. Nicht wenige der Aussiedler aus Wendezeiten kehren gegenwärtig qualifiziert und motiviert in ihre alte Heimat zurück, wissend um die Schönheiten einer nicht völlig zersiedelten Landschaft.
„Als Raumpionier wird man erst einmal von allen Seiten skeptisch angeschaut und erst sehr langsam mit seiner Arbeit akzeptiert“, stellt Annette Breamer-Wittke vom Verein I-Ku.net fest. „Baruthopia“ nennt sich eine Initiative, die in den kommenden drei Jahren lokale Utopien, möglicherweise nicht nur für den Ort Baruth, entwickeln will. Einen deutlichen Schritt in eine speziell ländlich ausgerichtet Zukunft hat der Verein bereits getan und einen Weinberg vor Ort wiederbelebt. Es gelte, die Jahrhunderte alte Weinbautradition in Brandenburg wiederzuentdecken, so der Verein. Die Verkostung der ersten Erzeugnisse fällt nicht ganz so euphorisch aus: „Schmeckt recht luftig, so etwas nach Maikäfer“. Dennoch hat sich das jährliche Erntefest seit 2007, als die ersten Reben angepflanzt wurden, zu einem Ereignis entwickelt, zu dem auch Berliner gerne in die Mark reisen. Er wolle keine neue Landkommunenbewegung, erklärt Matthiesen auf Nachfrage. Es gehe vielmehr darum, lokale Netzwerke zu entwickeln. Intelligente kreative Ideen könnten auch aus einen Kuhstall heraus entstehen. Wer eine innovative Idee habe, müsse nicht notwendigerweise in einem Kreuzberger Hinterhof vor sich hin basteln.
Auch in Steinhöfel stehen zunächst einmal Land und kulinarische Genüsse im Vordergrund. Der „Landkunsthof“ offeriert „Kochkurse mit alten Gemüsesorten“. Unter freiem Himmel finden in Steinhöfel Kochkurse statt. Früchte und Gemüse unmittelbar aus dem Ort liefern die Zutaten. Auf dem Gelände einer alten Schlossgärtnerei betreibt seit 2003 der Verein LandKunstLeben einen Garten, in dem Äpfel und Birnen, aber auch Löwenzahn und Mohrrübe gedeihen. Die Wiederentdecker ländlicher Beschaulichkeit knüpfen bewusst an Traditionen an.
Einen ganz neuen Staat hat dagegen Michael Kurzwelly gegründet. „Nowa Amerika“ verfügt mit Slubfurt über eine Landeshauptstadt, die sich aus Frankfurt/Oder und Slubice zusammensetzt und so paritätisch zwei lange verfeindete Nationen vereint. Seit 2010 besteht der neue, fiktive Staat in Europa. Mittlerweile hat sich die Idee von Kurzwelly zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. Unterstützt von europäischen Fördertöpfen veranstaltet der agile Aktionskünstler Busreisetouren durch die von ihm konstruierte Wirklichkeit der deutsch-polnischen Dörfer. Seine „soziale Plastik“ entspricht zwar nicht unmittelbar der Realität der Grenzregion, in der noch immer deutliche Ressentiments anzutreffen sind. Der kurzweiligen Völkerverständigung dient sie aber dennoch bestens. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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