Homepage: Der Blick für das Ganze fehlt
Tagung zu Humboldt und dem Bologna-Prozess
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Eine „gewisse Ermüdung“ für das Thema Bologna-Prozess musste der Historiker Julius H. Schoeps feststellen. Denn zur Tagung „Quo vadis universitas?“ der Gesellschaft für Geistesgeschichte (GGG) und des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien (MMZ) waren unlängst nur wenige Teilnehmer erschienen. Dabei sei das Thema keinesfalls „durch“, betonte MMZ-Direktor Schoeps.
Die Entwicklung universitärer Bildung vom Humboldtschen Bildungsideal bis zum europäischen Bologna-Prozess war Thema der Konferenz. „Ich kann bestimmte Entwicklungen einfach nicht mehr nachvollziehen“, bekannte Schoeps. Der Bachelor-Abschlusses in allen Disziplinen sei nicht sinnvoll. Für „grob fahrlässig“ halte er etwa die Abschaffung des weltweit akzeptierten Studienabschlusses Diplom-Ingenieur. „In Maßen ist die Straffung gewisser Studiengänge in Ordnung, aber wir brauchen keine Fachidioten“, warnte Schoeps.
Auch sei der Wechsel der Universität – ob im In- oder Ausland – für Studierende erheblich schwieriger geworden. Ein Ergebnis, das den Absichten der Uni-Reformer entgegenstehe. Nach Schoeps Meinung hapert es vor allem am Personalschlüssel: „Das Zahlenverhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden ist katastrophal, besonders in Brandenburg“. Die Modularisierung sei personalintensiv und somit zum Scheitern verurteilt. „Es wird zu viel auf Spezialisierung gesetzt. Die Allgemeinbildung leidet und der Blick für das große Ganze fehlt“, so Schoeps.
Auch Pädagogikprofessor Joachim H. Knoll (Hamburg) beklagte in seinem Vortrag über den Niedergang des akademischen Stils der Professoren die „Atomisierung“ von Studiengängen. „Sie führt dazu, dass der Kontext eines Faches nicht mehr hergestellt werden kann.“ Knoll zum Bologna-Prozess: „Der Spaß wird den Wissenschaftlern durch vorgeordnete Reglementierung ausgetrieben.“
Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik von der Frankfurter Goethe-Universität plädierte für eine „zweckfreie Forschung“, wie sie Wilhelm von Humboldt befürwortet hat. Die Debatte um Sinn und Zweck von Bildung sei Jahrhunderte alt. Ging es bei der letzten großen, von den 68ern angestoßenen Debatte noch um die Verbesserung der Lebensverhältnisse, stünden heute die Wirtschaftlichkeit der Universitäten und deren Verankerung in der Volkswirtschaft im Mittelpunkt. Joachim Knoll unterstützte diese Einschätzung mit der Beschreibung des Wertewandels seines Berufsstandes. Aus Professoren seien vielerorts Wissenschaftsmanager geworden, die sich in erster Linie um Fundraising kümmern müssen.
Brandenburgs Wissenschaftsministerin Martina Münch vertrat die Meinung, dass der Bologna-Prozess in keinem Widerspruch zu Humboldts Bildungsideal stehe. Auch gab sie zu bedenken, dass die Sicherung von Fachkräften eine aktuelle Herausforderung sei, die zu Zeiten Humboldts noch nicht existierte. Auf das Phänomen, dass sowohl Befürworter als auch Gegner des Bologna-Prozesses Humboldt für ihre Position vereinnahmen, ging Anna-Dorothea Ludewig Philologin am MMZ ein. Sobald über Bildung diskutiert werde, gehöre der Name Humboldt augenscheinlich „zum guten Ton“. Dazu passe auch, dass im Buchhandel mehr Schriften über als von Humboldt zu finden seien.
Wilhelm von Humboldt, preußischer Diplomat und Reformator von Schulen und Hochschulen, steht für viele Ideen, die noch heute als modern gelten. Er befürwortete eine nationale Einheitsschule, die jedem Kind Bildung ermöglichen sollte. Leistung sollte mehr zählen als Herkunft. Deshalb führte er das Prüfungswesen an den Unis ein, die mittels einer ganzheitlichen und zweckfreien Ausbildung autonome Individuen und aufgeklärte Weltbürger hervorbringen sollten. „Seine Ideal-Universität hat aber nie bestanden“, so Ludewig. Die Bologna-Reformen mit dem Humboldtschen Ideal vom zweckfreien Lernen in Einklang zu bringen, scheint schwierig. Ludewig: „Berufsausbildung hat an deutschen Universitäten einfach keine Tradition.“ Maren Herbst
Maren Herbst
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