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Von Henri Kramer: Der Bürger bekommt Recht

Mehr als die Hälfte der Kläger gegen Hartz-IV-Bescheide gewinnt Streit / Steigende Kosten bei Behörde

Stand:

Die Hartz-IV-Gesetze und deren Umsetzung verursachen der in Potsdam zuständigen Behörde immer mehr juristische Zusatzkosten. Allein in diesem Jahr hat die Potsdamer Arbeitsgemeinschaft zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (Paga) bereits 125 000 Euro zahlen müssen, weil Potsdamer juristisch erfolgreich gegen das Hartz-IV-Amt vorgegangen sind. Damit könnten auf die Paga dieses Jahr doppelt so hohe Kosten für Rechtsstreitigkeiten zukommen: Für das gesamte Jahr zuvor hatte die Paga für solche Zwecke noch rund 120 000 Euro benötigt, 2007 sogar nur zirka 83 000 Euro. Das teilte die gemeinsame Behörde von Stadt und Arbeitsagentur den PNN jetzt auf Anfrage mit.

Die wachsende Klagewelle hält Behördenchef Frank Thomann allerdings nicht für ungewöhnlich. „Die Menge liegt nicht an der Paga“, betonte Thomann. Er verwies auf die bundesweit steigende Zahl von juristischen Auseinandersetzungen nach der Hartz-IV-Arbeitsmarktreform: Es gäbe bei Details der seit 2005 geltenden Gesetze noch immer „keine gefestigte Rechtsprechung“ und damit noch ungeklärte juristische Fragen, so Thomann weiter.

In der Tat ist die Zahl der Rechtsstreitigkeiten mit Beteiligung der Paga in den vergangenen Jahren massiv gewachsen. Aktuell sind demnach 2014 Klagen gegen die Behörde anhängig – bei etwa 9500 Bedarfsgemeinschaften mit rund 15 000 Personen, die in Potsdam Geld von der Paga beziehen. Vor einem Jahr waren es noch 1141 Klagen – und im Juli 2007 nur 637. Zu den strittigen Fragen gehören demnach die Höhe von Arbeitslosensätzen oder die korrekte Anrechnung von Einkommen, aber auch die Frage, ob von der Behörde verhängte Sanktionen gerechtfertigt sind. Fast alle diese Fälle werden am Sozialgericht verhandelt – und vielfach verliert die Potsdamer Behörde. „Seit 2005 haben in rund 60 Prozent aller Verfahren die Kläger ganz oder teilweise gesiegt“, so Thomann. Als Gründe für die Niederlagen nannte der Paga-Chef die „ständig neue und sich weiter entwickelnde“ Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Gleichwohl räumte Thomann auch „fehlerhafte Bescheide“ seiner Behörde ein.

Vor allem innerhalb des vergangenen Jahres scheint die Paga massiv oft verloren zu haben. So gewannen laut Statistiken aus dem Potsdamer Sozialgericht seit Beginn 2008 genau 801 von 1202 Klägern ihren Prozess gegen die Paga „mit vollem Erfolg“ – also in zwei von drei Fällen. Ohne Erfolg blieben dagegen nur 23 Prozent. „Wenn wir verlieren, müssen wir die notwendigen Kosten der Gegenseite tragen – etwa die Gelder für die Anwälte“, so Thomann. Zusätzliche Kosten entstehen seiner Behörde allerdings nicht. Denn wird ein Widerspruch gegen eine Entscheidung der Paga eingelegt – oder kommt es gar zum Prozess – kümmert sich darum eine eigens eingerichtete Rechtsbehelfsstelle mit 14 angestellten Mitarbeitern. „Für die Gerichtsprozesse beauftragen wir keine externen Anwälte“, so Thomann.

Gleichwohl glaubt der Behördenleiter, dass die Klageflut in den kommenden Monaten zumindest nicht noch weiter steigt. Der Grund dafür sei, dass die Paga inzwischen fast alle eingegangenen Widersprüche bearbeitet habe – von 19 596 Fällen seit Beginn 2005 seien nur noch 302 anhängig. „Wir sind damit eine der ersten Stellen in Berlin und dem Land Brandenburg, die keine Widersprüche mehr bearbeiten muss, die älter als drei Monate sind“, so Thomann weiter.

Wegen der Klagewelle hatten in der jüngeren Vergangenheit Verantwortliche im Potsdamer Sozialgericht mehrmals von Überlastung gesprochen – wie auch ihre Richterkollegen anderswo in Deutschland.

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