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Homepage: Der Déjà-vu-Effekt
Die Globalisierung war bereits im Ersten Weltkrieg gegenwärtig – und schon lange davor, sagen Historiker
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Den Ersten Weltkrieg als globalen Krieg zu bezeichnen, das sei doch eine Binsenweisheit, sagte der Historiker Gerhard Hirschfeld am Montag zur Eröffnung der 55. Internationalen Tagung für Militärgeschichte in Potsdam. Was allerdings eher rhetorisch gemeint war. Denn schnell schon widersprach ihm Dierk Walter vom Hamburger Institut für Sozialforschung doch sehr deutlich. Auf die Frage der Tagung, inwieweit der Erste Weltkrieg ein globaler Krieg, ein Weltkrieg im wahren Wortsinn war, holte er weit aus, betrachtete die kriegerischen Konflikte der Imperialmächte in vier Jahrhunderten vor dem Weltkrieg. Und er kam zu dem Schluss, dass dieser doch gar kein wirklicher Weltkrieg gewesen sei. Allenfalls ein Wegbereiter zum Zweiten Weltkrieg, der dann wirklich globalen Charakter gehabt hätte. Gefolgt vom Kalten Krieg, der seit den 1970er-Jahren ebenfalls globale Züge getragen habe.
Ein Weltkrieg sei der Erste Weltkrieg vor allem aus der deutschen Innenperspektive gewesen. „Der Krieg war einerseits deutlich weniger global als die Kriege des 18. Jahrhunderts, er war im Kern ein europäisch-nahöstlicher Krieg“, sagte Walter. Immerhin sei dann mit Japan ein außen stehender Akteur mit einbezogen worden, auch wenn die Japaner im Wesentlichen nur regional agiert hätten. Die USA und die Briten zählte Walter zu den innersystemischen Akteuren. „Von einer linearen Globalisierung des Krieges in der Neuzeit kann gerade mit Blick auf den Ersten Weltkrieg keine Rede sein“, so Walter. Unbestreitbar hingegen sei es, dass bis in den Kalten Krieg hinein der wichtigste Faktor für die Globalisierung von Kriegen das globale Profil der europäisch geprägten Imperien gewesen sei.
Zu einem ganz anderen Ergebnis kam Walters Kollege Sir Hew Strachan aus Cambridge. Der Erste Weltkrieg, den die Briten und Franzosen als „Großen Krieg“ bezeichnen, sei durchaus ein globaler Krieg gewesen, eben weil alle Beteiligten Imperialmächte der Kolonialzeit waren. Und nicht zuletzt auch dadurch, das die USA, durch maritime und ökonomische Interessen, in den Krieg mit eintraten.
Auch der Experte für deutsche Militärgeschichte Markus Pöhlmann vom Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, das die viertägige Tagung ausrichtet, hält es für unumstritten, das der Erste Weltkrieg ein globaler Krieg war. Die Erweiterung der Allianzen und der Kriegseintritt der USA hätten ab 1917 aus dem Krieg einen wirklich globalen Krieg gemacht. Durch die wirtschaftlichen Verflechtungen mit der Entente – dem Bündnis zwischen dem Vereinigten Königreich, Russland und Frankreich – seien die Amerikaner bereits vor 1917 schon indirekte Kriegsteilnehmer gewesen. Auch dadurch dass sie den Krieg mitfinanzierten.
Letztlich sei es die deutsche Strategie des uneingeschränkten U-Boot-Krieges gewesen, die den heimlichen Alliierten USA zum wirklichen Kriegsteilnehmer gemacht habe. „Ab diesem Zeitpunkt wurde der Krieg über das rein operativ-militärische hinaus global, die Finanzströme, die Kommunikation, die wirtschaftlichen Beziehungen, all dies richtete sich nun auf globale Strukturen aus“, sagte Pöhlmann im Gespräch am Rande der Tagung. Auch habe die Rüstungsindustrie damals bereits in hohem Maße global agiert. Hinzu komme, dass bereits vor dem Krieg die wilhelminische Forderung nach Weltgeltung ein globales Denken beim Militär geradezu erzwungen habe. Pöhlmann verwies auf die deutschen Militärmissionen in Japan und dem Osmanischen Reich – der Phänotyp eines transnationalen Offiziers sei ein preußisch-deutsches Modell gewesen.
Wieso man nun vier Tage hinterfragt, ob dieser Krieg, den die Deutschen durchaus als Weltkrieg empfinden, wirklich global war, hat für den Potsdamer Historiker durchaus eine Bewandtnis. Ihm geht es auch um die Gewichtung eines Krieges europäischer Mächte und den sonstigen Konflikten weltweit: „Hier haben wir nicht nur ein stark eurozentrisches Bild, sondern immer noch ein stark auf Deutschland fixiertes Empfinden.“ Das würden Historiker nun zunehmend auch aus anderer Perspektive sehen wollen. „Es geht um die Verknüpfung verschiedener Konfliktherde mit Eigeninteressen, die außerhalb Europas liegen“, sagte Pöhlmann. Das sei etwas ganz anderes als die Kolonialkriege, in denen europäische Mächte an anderen Kriegsschauplätzen gekämpft hatten.
„Die Frage der Globalisierungsperspektiven ist so wichtig, weil gerade heute wieder Konfrontationsmuster ans Tageslicht kommen, die wir schon für längst überholt hielten“, sagte Pöhlmann mit Blick auf die Eurokrise und den Ukraine-Konflikt. Interessant sei für den Historiker dabei, dass wir uns heute als Bewohner einer globalisierten Welt betrachten, gleichzeitig aber feststellen, dass die Menschen vor 100 Jahren bereits die gleichen Probleme hatten. „Diesen Déjà-vu-Effekt stellen wir Historiker immer wieder fest.“ So habe es damals nicht nur den Militarismus in Deutschland gegeben, sondern gerade auch in der Wirtschaft, etwa bei der AEG oder Siemens, weltweite Vernetzungen „Diese Parallelen machen das Thema heute noch so relevant.“
Die Relevanz der historischen Erforschung des Ersten Weltkrieges hob auch der Gastgeber, der Kommandeur der Potsdamer Bundeswehr-Historiker Oberst Hans-Hubertus Mack, hervor. Heute würden Fragen jenseits der bereits geführten Debatten um Kriegsschuld und Versailler Vertrag in den Mittelpunkt rücken. Gerade im Ausland sei das Interesse an Deutschlands Kriegserfahrungen sehr groß: „Dort möchte man vor allem mehr über Deutschland in der Zeit des Krieges wissen.“ In der Binnensicht interessieren Mack bislang weniger beachtete Aspekte des Krieges. Etwa, dass das Schicksal des Balkans eng mit diesem Krieg verbunden war. Mack erwartet, dass über das Gedenkjahr 2014 hinaus der Erste Weltkrieg auch in den kommenden vier Jahren ein zentrales Thema bleibt – bis sich 2018 das Kriegsende zum 100. Mal jährt.
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