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Aus dem GERICHTSSAAL: Der Drang, Dinge einfach zu stehlen Angeklagter glaubt, Kleptomane zu sein

„Es gab einen Personenschaden auf der Bahnstrecke“, klärt der Thüringer Dieter D.* (50) das Gericht über sein Zuspätkommen auf.

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„Es gab einen Personenschaden auf der Bahnstrecke“, klärt der Thüringer Dieter D.* (50) das Gericht über sein Zuspätkommen auf. „Leider war ich es nicht“, fügt er dumpf hinzu. „Ich kann mich sowieso über nichts mehr freuen.“ Dieter D. ist alles andere als ein Schwerverbrecher, muss keine Angst vor einer geharnischten Strafe haben. Er ist offenbar psychisch krank und wegen Diebstahls eines Herrenparfüms im Wert von 63,99 Euro angeklagt. „Ich habe diesen Drang, Dinge ohne Bezahlung mitzunehmen. Es ist eine Art Sucht“, gesteht der gelernte Ingenieur für Maschinenbau, stützt dann seinen Kopf in die Hände und brütet vor sich hin. Endlich gelingt es ihm zu sprechen. „Es war eine idiotische Tat. Dafür muss ich bestraft werden. Ich war völlig von der Rolle und bin es eigentlich noch“, räumt der Mann ein. An jenem 28. Juli 2008 sei seine Entlassung aus der Neu Fahrländer Heinrich-Heine-Klinik nicht mehr fern gewesen. „Ich war dort, weil ich mit dem Leben nicht mehr klar gekommen bin.“ Während eines Potsdam-Bummels sei er im Karstadt-Palais gelandet, habe das Parfüm völlig gedankenlos eingesteckt.

„Ich weiß, dass man nichts klauen darf und versuche, meine Kleptomanie bewusst zu bekämpfen. Ich gehe nur von der Wohnung zur Arbeit und wieder nach Hause, um nicht in Versuchung zu geraten, Dinge mitzunehmen, die ich nicht brauche“, erzählt der Angeklagte. „Sie müssen doch aber auch Lebensmittel einkaufen oder mal eine neue Hose“, wirft Amtsrichterin Birgit von Bülow ein. Dieter D. schaut gequält. „Es geht vielleicht heute, etwas nicht zu stehlen, morgen klappt es wieder nicht“, sagt er, berichtet dann von den Medikamenten, die er regelmäßig nehmen muss, um über den Tag zu kommen. Jetzt habe er sich erneut in eine ambulante Therapie begeben. Dieser solle sich eine stationäre Behandlung anschließen.

Als der Ingenieur nach der Wende seine Arbeit verlor, brach für ihn eine Welt zusammen. Er war mehrere Monate in der Psychiatrie, hangelte sich dann von einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur nächsten. 1998 erkrankte er am Burnout-Syndrom. In seiner letzten Arbeitsstelle fühlt er sich gemobbt. „Dadurch ist mein Kopf nicht frei. Es gibt laufend Dienstaufsichtsbeschwerden. Wenn ich aus der Klinik komme, ist meine Stelle mit Sicherheit weg“, glaubt Dieter D. „Kleptomanie ist bisher kaum von einem Arzt bestätigt worden“, führt die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft aus. „Wir sehen aber, dass Sie Hilfe brauchen.“ Da sich Dieter D. erneut freiwillig in ärztliche Behandlung begab, könne das Gericht auf seine psychiatrische Begutachtung verzichten. „Sie tun etwas gegen Ihre Krankheit. Das ist Ihnen hoch anzurechnen“, betont die Richterin. Der Diebstahl des teuren Herrenparfüms müsse dennoch geahndet werden, und zwar mit einer Geldstrafe von 300 Euro. (*Name von der Redaktion geändert.) Hoga

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