
© Sammlung Jörg Kirschstein/Sammlung Jörg Kirschstein
„Der Erbe des Kaisers“: Wie der Kaiserenkel Wilhelm aus der Geschichte verschwand
Ein neues Buch holt den fast unbekannten Enkel Wilhelm II. aus dem Schatten der Geschichte – und erzählt von Liebe, Loyalität und Verlust.
Stand:
Aus den Schlagzeilen ist diese Auseinandersetzung verschwunden. Der Streit zwischen dem Haus Hohenzollern und der öffentlichen Hand über rund 27.000 Objekte aus dem Nachlass des deutschen Kaiserhauses konnte im vergangenen Frühjahr beigelegt werden.
Zuvor hatten die Kontrahenten jahrelang darüber gestritten, ob der einstige Kronprinz Wilhelm, also der älteste Sohn des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II., dem Nationalsozialismus Vorschub geleistet hatte. Von dieser Frage hingen Entschädigungsansprüche der Hohenzollern ab.
Weit weniger bekannt als Kronprinz Wilhelm ist heute sein erstgeborener Sohn. Auch er hieß Wilhelm. Im Schatten seiner berühmten Vorfahren und überstrahlt von der Präsenz seines ihn um ein halbes Jahrhundert überlebenden Bruders Louis Ferdinand spielt Wilhelm in der öffentlichen Wahrnehmung praktisch keine Rolle.
Das war nicht immer so. Etwa 50.000 Menschen sollen Prinz Wilhelm die letzte Ehre erwiesen haben, als er am 29. Mai 1940 im Antikentempel des Parks von Sanssouci beigesetzt wird. Dies berichtet Jörg Kirschstein in seinem gerade erschienen Buch „Der Erbe des Kaisers – Prinz Wilhelm von Preußen (1906 – 1940)“. Aus dem Dunkel der Archive hat der Autor, der bei der Schlösserstiftung Leiter des Neuen Palais ist, mit seinem im BeBra Verlag erschienen Werk den Kaiserenkel Wilhelm ans Licht der Öffentlichkeit geholt.
Die Idee für sein neuestes Werk hatte Kirschstein gar nicht selbst. Die im Jahr 1936 geborene Tochter Wilhelms, Christa von Preußen, habe ihn vor Jahren gefragt, ob er nicht ein Buch über ihren Vater schreiben könne. „Nein, das ist nicht möglich aufgrund dieser ungenügenden Quellenlage“, sei zunächst seine Antwort gewesen. „Aber dann blieb sie irgendwie eisern“, erinnert sich Kirschstein.
Und schließlich taten sich historische Dokumente auf. Der Archivar konnte in mehreren Familiennachlässen forschen, unter anderem im Archiv auf der Burg Hohenzollern, das Georg Friedrich Prinz von Preußen für Kirschstein öffnete.
Prinz sah sich Widerstand innerhalb der Familie ausgesetzt
Der Autor zeichnet in seinem Buch über Prinz Wilhelm das Bild eines Mannes, der sich angesichts seiner Vermählung mit einer als nicht ebenbürtig angesehenen Frau deutlichem Widerstand innerhalb der Familie ausgesetzt sah. Zur politischen Einstellung Wilhelms gegenüber dem NS-Staat gibt das Werk wenig Auskunft. Kirschstein verweist auf die dünne Quellenlage.
Wilhelm wird am 4. Juli 1906 in Potsdam geboren. Ab dem Frühjahr 1926 studiert er Rechtswissenschaften in Bonn, wo er sich in Dorothea von Salviati verliebt. Auch wenn die Monarchie in Deutschland zu dieser Zeit längst abgeschafft ist, wehrt sich Prinz Wilhelms Großvater, der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II., strikt gegen die Hochzeit. Denn nach den königlichen Hausgesetzen der Hohenzollern gehört Salviatis Familie nicht zu den privilegierten Adelshäusern, aus denen ebenbürtige potenzielle Ehepartner kommen können.

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© Nachlass Felicitas von Nostitz-Wallwitz/Nachlass Felicitas von Nostitz-Wallwitz

© Sammlung Christa Prinzessin von Preußen/Sammlung Christa Prinzessin von Preußen
Auf die Hochzeit am 3. Juni 1933 in Bonn reagiert der einstige Kaiser mit konsequenter Ablehnung und verfügt: „Prinz Wilhelm tritt mit seiner Eheschließung in die Reihe der nachgeborenen Prinzen des königlichen Hauses. … Seine Gemahlin wird nicht Mitglied des königlichen Hauses.“
Würde die Monarchie jemals wiederbelebt werden, so sollte Prinz Wilhelm nach dem Willen seines Großvaters also nicht der künftige Regent sein. Zur Hochzeit erscheint kein Verwandter Wilhelms aus dem einstigen Königshaus. Nie wieder lud der Ex-Kaiser seinen Enkel zu ihm in sein niederländisches Exil ein.
Kein Freund der Weimarer Republik
Dass Prinz Wilhelm kein Freund der Weimarer Republik war, wird in seiner Mitgliedschaft im „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“ deutlich, einer Vereinigung, die offen in Opposition zur Republik stand. Wilhelm wollte die Eigenständigkeit des „Stahlhelms“ gewahrt sehen und lehnte die von den Nazis betriebene Gleichschaltung dieses Bundes ab.
Laut Kirschstein entsprach die Haltung des Prinzen zum „Dritten Reich“ der Mehrheitsmeinung im „Stahlhelm“: Grundsätzlich begrüßte man den NS-Staat, pochte aber auf die Selbständigkeit des Frontsoldatenbundes.
Sein lediglich fast 34 Jahre währendes Leben endet für Prinz Wilhelm als Chef einer Kompanie 1940 während des deutschen Eroberungsfeldzuges gegen Frankreich. Der Kaiserenkel wird schwer verwundet und stirbt am 26. Mai in einem Feldlazarett im belgischen Nivelles. Die große Anteilnahme der Bevölkerung an seinem Tod verärgert die Nazis. Bekundungen für das frühere Königshaus sind unerwünscht. Der Tod Wilhelms ist Anlass für den geheimen sogenannten Prinzenerlass, mit dem der Fronteinsatz von Angehörigen früherer Königs- und Fürstenhäuser untersagt wird.
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