Landeshauptstadt: „Der gerechte Frieden ist unser Ziel“
Aus der Ansprache von Paul Oestreicher bei der Übergabe des Nagelkreuzes an die Stiftung Garnisonkirche
Stand:
Aus der Ansprache von Paul Oestreicher bei der Übergabe des Nagelkreuzes an die Stiftung Garnisonkirche Paul Oestreicher, ehemaliger Leiter des Versöhnungszentrums in Coventry, hielt am Dienstagabend bei der Verleihung des Nagelkreuzes an die Stiftung Garnisonkirche (PNN berichteten) eine viel beachtete Rede. PNN veröffentlichen Auszüge aus der Ansprache, in denen sich der Pazifist Oestreicher mit seinem Werdegang, der wieder aufzubauenden Garnisonkirche und dem Thema Krieg und Frieden auseinander setzt. „Was hier in Potsdam entstehen soll, ist eine Kirche, kein Museum der Vergangenheitspflege. Hier wird die gute Nachricht Jesu Christi verkündet. Das ist alles. Das ist aber sehr viel. Hier wird vor allem gebetet. Durch Gottesdienste, Ausstellungen, Vorträge, Konzerte und alles was die menschliche Fantasie zustande bringt, wird die Liebe Gottes zu allen Menschen und zu seiner ganzen Schöpfung dargestellt. Das ist die Aufgabe jeder Kirche, im Gotteshaus selbst und draußen in der Gesellschaft durch die Menschen, die dieses Haus mit Leben erfüllen werden. Auf diese Menschen kommt es letztlich an, und nicht in erster Linie auf die sehr schöne, das Stadtbild bereichernde Architektur. Die Garnisonkirche wird eine zentrale Aufgabe des Evangeliums erfüllen müssen: den Frieden Jesu Christi zu verkörpern und zu verkünden. Das ist ein Abenteuer Gottes, kein leichter Weg aber ein Weg, der sich aus der Geschichte ergibt, aus der Tradition, aus dem Wort Garnisonkirche. Ich weiß, was eine Garnison bedeutet. In einer bayrischen Garnisonstadt wurde mein Vater als Artillerist ausgebildet. Vier Jahre lang stand er 1914-18 an der Front als deutscher Offizier. Eine Zeichnung aus dem Schlachtfeld, von einem gefallenen Kameraden gemalt, hängt über meinem Schreibtisch. Und ein Bild des jungen Leutnants, der 20 Jahre später als geborener Jude aus der geliebten deutschen Heimat flüchten musste, mein Vater. Er schaute mit Stolz zurück auf seine Jahre als Soldat. Zum Christ geworden durch die Kriegserfahrung, fragt er sich, was habe ich aus meinen Jahren an der Front gelernt? Mein Leben dem Frieden zu widmen. Im Exil in Neuseeland schloss er sich den Quäkern, dieser historischen Friedenskirche, an. Kein Wunder, dass ich als Student der politischen Wissenschaft zum Pazifisten wurde. Ich schrieb als Magisterdissertation die Geschichte der Kriegsdienstverweigerer Neuseelands im 2. Weltkrieg. Und wer war mein akademischer Betreuer? General a. d. Kippenberger, Chefredakteur der neuseeländischen Kriegsgeschichte. In der Schlacht von Monte Casino hatte er beide Füße verloren. Wir lernten einander zu lieben, ich der junge radikale Pazifist, er, der verdiente General – nicht nur zu lieben, sondern einander zu achten. Für meine Arbeit zur Kriegsdienstverweigerung gab er, der General, mir, dem Pazifisten, die Note eins In diesem Geist der Achtung vor dem was war und der Wahrnehmung dessen, was die Aufgabe Gottes für heute ist, wird diese Kirche sich rechtfertigen müssen. All die dabei sein wollen, werden gemeinsam nach dem suchen müssen, was dem Frieden dient. Wird diese Kirche dazu beitragen, die Tränen Jesu wegzuwischen? Wie die nächste Generation damit umgeht, können wir nicht wissen. Die ersten Schritte dürfen wir alle aber mit Zuversicht und Freude gehen. Und hoffentlich nicht nur evangelische Christen. Ich meine wirklich alle. Alle Konfessionen, alle Religionen und alle, die von Religion wenig halten, aber den Frieden ernstlich suchen An nichts hat der Teufel größere Freude als an der Irrlehre und an der häufigen Praxis: der Krieg sei heilig, Krieg im Namen Gottes. In diesem Ungeist ist der erste Weltkrieg auf beiden Seiten geführt worden. Man lese die Predigten der Militärgeistlichen. „Gott mit uns“ auf den Koppelschlössern der deutschen Soldaten in beiden Weltkriegen war im wörtlichen Sinn unglaublich und eine Gotteslästerung. Nicht viel anders sind Bush und Blair mit dem Irak-Krieg umgegangen, als sei dieser Angriffskrieg ein gottgewollter. Meine lieben Mitmenschen, das Friedenszeugnis brennt uns heute allen auf den Nägeln. Es ist aber kein Zeugnis gegen Soldaten. Vielmehr müssen wir es als ethischen Fortschritt erkennen, dass heute unsere Streitkräfte nicht mehr in erster Linie da sind, um nationale Kriege zu gewinnen, sondern um Konflikte zu verhindern oder bestehende zu beenden Die Kirche muss immer einen Schritt weitergehen als die restliche Gesellschaft, muss auf die vermeintliche Utopie hinarbeiten, den Krieg als legitimes Mittel der Politik total abzuschaffen. Auch die Sklaverei hielt die Kirche einst für normal und nötig. Heute denkt man anders. Der Krieg kann so wenig wie die Sklaverei Gottes Wille sein. Der gerechte Frieden, nicht der gerechte Krieg ist unser Ziel. Das ist keine Utopie. Diese Hoffnung gibt uns aber nicht das Recht, diejenigen zu verteufeln, die meinen, dass es in einer sündhaften Welt noch nötig ist, das Gute mit der Waffe zu verteidigen. Das ist durchaus auch ehrenhaft. Trotzdem muss die Abschaffung des Krieges das Ziel aller denkenden Menschen bleiben. Das Böse mit Gutem zu überwinden ist kein Idealismus, sondern der neue Realismus, wenn die Welt überleben will. Ich glaube das zwar als Christ, denke es aber auch als Politologe. Dialog von Pazifisten mit denen, die den gerechten Krieg noch für ein notwendiges Übel halten, wird bestimmt zu den Aufgaben dieser Kirche gehören. Alle werden hier gebraucht, der Kriegsdienstverweigerer und der Soldat. Kein Soldat, der sich hier in seiner Uniform trauen lassen will, braucht sich dessen zu schämen. Heimat für alle muss jede Kirche sein. Diese erst recht. Ihre Geschichte schreit danach. Die Verpflichtung zum Frieden geht aber weit hinaus über das begrenzte Thema des Krieges. Frieden ist mehr als ein Ruhen der Waffen. Die ökumenische Verpflichtung nicht nur zum Frieden, sondern zur Gerechtigkeit und zur Bewahrung der Schöpfung schließt das ganze Leben ein, hier am Ort und überall auf der Welt. Die gute Nachricht des Rabbiners Jesus von Nazareth, der über unsere gebrochene Welt auch heute weint, ist aber keine traurige Nachricht, sondern eine Nachricht der Hoffnung und der Liebe. Seid also Täter des Wortes und wählt das Leben! Das sei ein Geleitwort für Potsdams wiederauferstandene Garnisonkirche, Gott zur Ehre und allen Menschen zum Segen. Wählt das Leben.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: