
© M. Thomas, A. Klaer)
Von Juliane Wedemeyer: Der Geruch des Mülls
Wolfgang Bölke braucht nach der Arbeit eine Spezialseife, denn er hat einen der wichtigsten Jobs der Stadt
Stand:
Es gibt diese Momente. Manchmal in der Gaststätte, wenn er neue Leute kennen lernt, die so tolle Berufe haben. Dann sagt er vorsichtig, er sei Kraftfahrer für die Stadt. Dabei ist er stolz auf das, was er tut. Er sorgt dafür, dass die Stadt funktioniert. Wolfgang Bölke ist Müllmann. Einer von 25, die sich um das kümmern, was niemand mehr haben will. 150 000 Menschen produzieren hier jedes Jahr 39 000 Tonnen Abfall, statistisch gesehen schmeißt jeder Potsdamer rund 260 Kilogramm in die schwarze Tonne für den Hausmüll: Windeln, Kartoffelschalen, alte Zeitungen, Essensreste.
Rund 3700 Mülltonnen leeren die 25 Müllmänner jeden Tag. Wolfgang Bölke schafft zwischen 300 und 500. „Das kommt ganz auf die Tour“ an, sagt er. Eigentlich ist Bölke für den Müll in der Innenstadt zuständig. Zu dritt fahren sie mit dem Müllauto dann die einzelnen Hausnummern ab. Jeder Trupp hat sein eigenes. Neun Mülltransporter besitzt die Stadtentsorgung Potsdam, die Step. An diesem Tag springt Bölke für einen Kollegen ein, der gerade Urlaub macht. Darum sitzt er ausnahmsweise in der Fahrerkabine eines anderen Lkws – in dem von Ingolf Kinnemann, der die neuen Ortsteile abfährt. Und weil die Menschen dort in den Dörfern weniger wegwerfen als die Städter, sind die beiden nur zu zweit unterwegs. Es ist Dienstag, kurz vor zehn. Die erste Tour durch Satzkorn und Fahrland liegt bereits hinter ihnen. Jetzt, nach der Frühstückspause, sind Uetz, Paaren und Marquardt an der Reihe.
Mit seinem dichten Haar und den gleichmäßigen Gesichtszügen sieht Wolfgang Bölke aus, als sei er früher mal ein Mädchenschwarm gewesen. Er hat dichtes braunes Haar, ein ebenmäßiges Gesicht. Die ersten Fältchen geben ihm etwas Verschmitztes. Seine Hose und sein Kapuzensweatshirt leuchten genauso orange wie das Auto, in dem er sitzt. „Der Job kann ganz schön gefährlich sein“, sagt er. Die Männer müssen die Tonnen über die Fahrbahn schieben.
Der Lkw stoppt, Bölke springt heraus. Die beiden sind in Uetz. Vor einem Bauernhof steht die erste schwarze Plastiktonne. Bölke zieht sie zum Lkw und schiebt sie gegen ein Metallgerüst. Ein Ruck, die Tonne rastet ein. Das Gerüst hebt die Tonne nach oben zur Containeröffnung, bis sie kopfüber steht. Der Inhalt rutscht in den Schlund des Müllautos. Innen kratzt eine Schaufel die Abfälle zusammen. Zehn Tonnen Müll passen so zusammengedrückt in den Container, das sind ungefähr 330 schwarze Abfalltonnen – eine Tagestour.
Bölke braucht für eine Tonne nur wenige Sekunden. Er ist schon seit 20 Jahren Müllwerker, wie sein Beruf offiziell heißt. Früher hat er im Potsdamer Plattenwerk Beton gegossen. Doch im letzten Jahr der DDR war das Ende der Plattenbauweise abzusehen. Und als in einer Kneipe jemand erzählte, dass die Stadtentsorgung dringend Leute suchte, bewarb sich Bölke. Es war der Sommer 1989. Die Menschen fuhren nach Ungarn in den Urlaub, um nicht mehr zurückzukehren. „Bei der Stadtentsorgung war eine ganze Crew in den Westen abgehauen“, erzählt Bölke und springt auf das Trittbrett des Lkws. Kinnemann gibt vorsichtig Gas. Er fährt zur nächsten Tonne. Bölke hält sich hinten am Müllwagen mit einer Hand an einem Griff fest und dreht seinen Kopf in den warmen Wind. Die Sonne scheint. Aus dem Container dringt ein muffiger, süß-saurer Geruch. Er klebt er an Bölkes Händen, trotz der Handschuhe, die er trägt. Und er hängt in seiner Arbeitskleidung fest. „Aber ich riech’ das schon gar nicht mehr“, sagt er. Trotzdem wäscht er seine Hände nach der Arbeit mit einer Spezialseife, damit er ihn wieder los wird. Heute sei ein guter Tag zum Arbeiten, aber an kalten, verregneten Tagen sei der Job sehr hart. Und auch die großen schweren Tonnen der Mehrfamilienhäuser in der Stadt verlangten viel Kraft. „Für Frauen ist das viel zu schwer“, sagt Bölke. Darum gebe es nur Müllmänner.
Noch ehe er richtig vor dem nächsten Haus hält, ist Bölke schon wieder abgesprungen. Er winkt einem kleinen Jungen zu, der jede Bewegung des Müllmanns andächtig verfolgt. Das gebe es oft, sagt er. Kinder lieben Müllautos und -männer. Auf einer seiner Innenstadt-Strecke trifft er immer einen Jungen, der sich weigert, in den Kindergarten zu gehen, wenn das Müllauto nocht nicht da war. Er möchte es auf keinen Fall verpassen. Er selbst habe als Kind auch immer auf das Müllauto gewartet. Aber Erwachsene machten sich meist gar keinen Kopf mehr über ihren Müll. „Sie schmeißen ihn weg und denken nie wieder dran.“ Und manche rümpfen sogar die Nase, wenn sie erfahren, womit Bölke sein Geld verdient. Die haben keine Ahnung, wie wichtig der Beruf ist, ärgert sich der Müllmann.
Nach viereinhalb Stunden haben Kinnemann und Bölke ihre zweite Tour beendet. Von sechs bis halb drei waren sie unterwegs. Zwischen elf und 13 Euro pro Stunde bekommen sie für ihre Arbeit. Jetzt fahren sie auf den Hof der Step. Dort, in der Drewitzer Straße, wird der Müll in eine Halle gefahren und ausgeschüttet. Ein dicker, schwarz glänzender Quader verlässt den aufgerichteten Container. Der Müll der neuen Ortsteile sieht im Frühling immer so aus. „Das liegt an der vielen Muttererde“, sagt Bölke. Er weiß fast alles über den Müll. Zu DDR-Zeiten gab es viel mehr Asche im Müll. Als dann nach der Wende die Öfen verschwanden, verschwand auch sie. Und kurz nach der Maueröffnung sei es besonders spannend gewesen: Die Leute haben Westmagazine weggeworfen. Die haben die Müllmänner dann auf die Fahrt zur Deponie gelesen. Mittlerweile gebe es wieder mehr Asche im Abfall. Und mehr Windeln.
Und zur Deponie bringen die Potsdamer ihren Müll längst nicht mehr. Sammeltransporter fahren ihn in 20-Tonnen-Ladungen nach Vorketzin. Dort betreibt die Märkische Entsorgungsbetriebs-Gesellschaft, kurz Meab, eine mechanisch-biologische Verwertungsanlage. Mehr als 400 000 Tonnen Müll aus Brandenburg und Berlin landen jährlich bei der Meab, heißt es auf deren Internetseite. In Vorketzin wird der Potsdamer Müll gesiebt, sortiert – und wieder verkauft: das Papier an Papier-, das Glas an Glasfabriken und das Metall an Schrotthändler. Organische Abfälle werden zu Pellets gepresst und als Heizstoff vermarktet. Nur ein kleiner Rest verrottet in den Spezial-Boxen.
Bölke und Kinnemann haben sich die Anlage schon angesehen. Der Müll lässt sie nicht los – selbst wenn sie mit ihren Familien in den Urlaub fahren. „Jede Stadt entsorgt ihren Müll anders,“ sagt Bölke. In Schweden zum Beispiel fahren die Müllmänner Schneemobile.
Juliane Wedemeyer
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