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Homepage: Der gescheiterte Kindsmord Podiumsdiskussion zum Fest der Liebe

Alljährlich feiern wir Geburtstag. Nicht nur den eigenen und den der nächsten Lieben, sondern auch einen, dessen genaues Datum ungewiss ist.

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Alljährlich feiern wir Geburtstag. Nicht nur den eigenen und den der nächsten Lieben, sondern auch einen, dessen genaues Datum ungewiss ist. Denn dass Weihnachten, die Geburt von Jesus, auf den 25. Dezember fällt, ist eher nachträgliche Vereinbarung als belegbare Tatsache. Der Intensität der Feierlichkeiten tut dies keinen Abbruch. Im Gegenteil: Kaum ein anderes Fest ist so mit Gefühl aufgeladen.

Wie es aber zu den vielen, regional durchaus unterschiedlichen Ritualen am Ende des Jahres gekommen ist, wie sich die Bedeutungen wandeln und was diese Veränderungen provoziert, interessiert die Kulturwissenschaftler Heiko Christians von der Universität Potsdam und Thomas Macho von der Humboldt-Universität Berlin. In einer von Kurzfilmen gerahmten Podiumsdiskussion, zu der in der Vorweihnachtszeit das Einstein Forum mit dem Filmmuseum geladen hatte, wurde vor allem eines klar: Alle Jahre wieder passiert eben nicht das Gleiche.

Der leuchtende Weihnachtsbaum, die Familienszene des Gabentauschs und das reichhaltige Festessen gehören erst seit dem 19. Jahrhundert zum Weihnachtsfest. Der so beliebte Christstollen war ursprünglich ein fades Fastengericht. Er sollte das Überleben sichern und nicht dem Genuss dienen. Erst 1491 erlaubte der Papst die schmackhaftere Rezeptur mit der fettreichen Butter.

Sich ordentlich satt zu essen sei der Kern von Festen, so Thomas Macho. Denn in früheren Zeiten war ausreichendes Essen die Ausnahme, nicht die Regel. So wie es vor 2000 Jahren auch nicht selbstverständlich war, dass Neugeborene überleben. Deshalb sei das Weihnachtsfest weniger eine Geburts- als eine Überlebensfeier. Noch bevor Jesus auf die Welt kam, wurde ihm nach dem Leben getrachtet: Die werdenden Eltern mussten fliehen, die Geburt fand unter denkbar ungünstigen Bedingungen in einem Stall statt. Zeitgleich wurden alle Neugeborenen, deren die Schergen von Herodes habhaft wurden, umgebracht. Die Geburt von Jesus sei eigentlich die Geschichte eines gescheiterten Kindsmordes.

Wie diese zu feiern sei, wird nicht zuletzt über Medien transportiert. Der Potsdamer Medienkulturhistoriker Christians erinnerte daran, dass die zur Weihnachtszeit waldweise gefällten und in deutschen Wohnzimmern aufgestellten Tannenbäume auch auf eine Postkartenaktion der kaiserlichen Familie zurückgehen, die sich in trauter Besinnlichkeit abbilden ließ und damit das Modell für die Weihnachtsfeiern schuf. Nation und Familie sind in diesem Bild kurzgeschlossen. Der dreiminütige Film „Deutsche Weihnacht“ von 1938 zeigte, wie nachhaltig diese Ideologie propagiert wurde. Auch noch die ärmste Familie wurde über das Weihnachtsfest auf ihr Deutschsein eingeschworen.

1963 feierte die DDR in einem Dokumentarfilm das Zustandekommen des ersten Passierscheinabkommens als einen Sieg über den (West-)Berliner Senat, der Familienfeste von Ost- und Westbürgern durch die Verweigerung von Verhandlungen zu verhindern gesucht habe. Eine überraschende Perspektive, nicht zuletzt auf die Funktionalisierung und emotionale Mobilmachung von Weihnachten.

Dass Welt- und Familienrettungsszenarien zum Weihnachtsfest gehören wie Kerzen und Bratenduft, beweisen alljährlich Kino und Fernsehen, angefangen beim „Kleinen Lord“ über „Kevin allein zu Haus“ bis „Stirb langsam“. Der Weihnachtsfilmklassiker „Die Weihnachtsgans Auguste“ von 1964 stellt einen Weihnachtsbrauch jedoch gründlich infrage: das Verspeisen eines Federviehs. Über die richtige Interpretation des Festes werde immer wieder gestritten, darin war sich das Podium einig. Lene Zade

Lene Zade

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