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Landeshauptstadt: Der Jens ist da

Ein 17-Jähriger arbeitet ehrenamtlich im Kindergarten, weil es ihm ein Bedürfnis ist zu helfen

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Jens Bosewe sucht ein Fenster. Doch als er es gefunden hat, ist die rechte Hand des 17-Jährigen schon fast zu groß, das Lego-Teil in die Art Ritterturm in seiner Linken einzusetzen. Die zwei kleinen Jungs neben ihm helfen. Im Hintergrund sitzen zwei Erzieherinnen des Evangelischen Kindergartens „Comenius“ in der Wichgrafstraße und machen Pause. Sie wissen: Der Jens ist da.

Jens arbeitet seit vergangenem März freiwillig in der Kita. Dienstags für vier, freitags für drei Stunden, in den Ferien auch „gern länger“. Mehr als 200 ehrenamtliche Stunden hat er so inzwischen hier verbracht – eigentlich schon das obere Limit für das Projekt, durch das er den unbezahlten Job bekommen hat. Denn Jens nimmt an der „aktion:sozial“ des Paritätischen Bildungswerks Brandenburg e.V. teil, dass Jungen ab der siebten Klassenstufe bis zum Schulende dazu motivieren will, sich für etwa ein Jahr in der Gesellschaft zu engagieren. „Ich sammle durch die Kitaarbeit Erfahrungen, die anderen Jungen in meinem Alter verschlossen bleiben: Etwa wie es ist, selbst Kinder zu haben und sich lange um sie zu kümmern“, sagt Jens über seine Motivation. Der 31-jährige Daniel Georgi, der beim Paritätischen Wohlfahrtsverband das Projekt betreut, hört solche Sätze gern – und selten.

Seit Bestehen des im Frühjahr 2005 für drei Jahre eingerichteten Modellprojekts haben laut Georgi drei Jungen aus Potsdam das Ziel erreicht, ein Jahr durchzuhalten und ihre rund 200 Stunden zu absolvieren, drei andere Teilnehmer seien kurz davor. Insgesamt seien rund 30 junge Männer derzeit in verschiedenen sozialen Einrichtungen der Stadt engagiert. „Sie kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten“, sagt Georgi. Ein Drittel der Jungen seien an einem Gymnasium eingeschult, der Altersschwerpunkt liege bei 15, 16 Jahren. Warum sich Jens Bosewe zu der freiwilligen Arbeit entschieden hat? Schließlich bekommt er nur 30 Euro Aufwandsentschädigung pro Monat bezahlt. Andere bekommen mehr Geld in der selben Zeit, etwa wenn sie Zeitungen auszutragen oder im Supermarkt Dosen stapeln. „Es ist mir ein Bedürfnis zu helfen“, sagt der schlanke Junge. Er selbst käme aus einer Hartz IV-Familie, hätte gelernt, auch mit wenig Geld auszukommen. Unter seinen Freunden sei er mit dieser Einstellung ein Einzelfall, sagt er. „Die meisten finden es aber toll, weil sie meinen, dass sie es nicht machen könnten – wegen der regelmäßigen Zeiten“. Andere würden ihn dagegen versuchen aufzuziehen: „Bei dir laufen ja die Kinder weg.“ Doch das glaubt Jens nicht. Und bemerkt schlicht: „Ich habe sowieso ein Problem mit Leuten, die andere runtermachen.“

Es ist ein solches Selbstverständnis, für andere Menschen eine verbindliche Verantwortung zu übernehmen, dass die „aktion:sozial“ erzeugen will. Dafür wird in Schulen persönlich sowie mit Flyern und Plakaten geworben. „Wir haben nicht den Anspruch, Jugendliche von der Straße zu holen – sie müssen die Motivation für so ein Ehrenamt selbst mitbringen“, sagt Georgi. Neben dem Erlernen von sozialer Kompetenz gebe es einen weiteren Vorteil: Ein Zertifikat. „Dies sieht später in der Bewerbungsmappe sehr gut aus.“ Bei Interesse könnten potenzielle Bewerber zwischen rund 60 sozialen Einrichtungen Potsdams wählen, in denen sie aushelfen könnten, von der Kita bis zum Altenheim gäbe es ein breites Angebot. „Die Arbeiten sind immer nur zusätzlich“, betont Daniel Georgi. Einer der Jungen helfe etwa in einer Fahrradwerkstatt aus, ein anderer spiele regelmäßig mit Senioren Schach oder unterhalte sich mit ihnen. „Wir betreuen alle Teilnehmer regelmäßig und beraten sie bei Problemen und Fragen.“ Jens Bosewe scheint solche Hilfen kaum noch nötig zu haben. Die Art, wie „Tante Jens“ mit den Kindern und den Legosteinen spielt, ist herzlich und unbekümmert. Doch plötzlich soll er weg. Ein kleines Mädchen fragt ihn, ob er mit am gedeckten Mini-Tisch essen möchte. Jens grient. Und sagt später einen wichtigen Satz: „Hier kann ich selber noch einmal Kind sein.“

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