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Landeshauptstadt: „Der Junge ist noch mitgerannt“

Im Bornstedter Feld wurde ein 17-Jähriger von einer Tatra-Bahn überfahren – die Umstände sind unklar

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Bornstedter Feld - Die Kiepenheuer Allee liegt wie ausgestorben. Über der Straße, über den Tramgleisen, flimmert am Sonntagmittag die Hitze. Die Blumen, die im Gras der Böschung liegen, sind längst in der Sonne verwelkt. Dennoch erinnern sie an das, was am Samstag wenige Minuten nach Mitternacht an diesem Ort, gut 80 Schritte entfernt von der Haltestelle „Campus Fachhochschule“, geschah: Der 17-jährige Potsdamer Marc-Philip verlor sein Leben. Er wurde von einer Straßenbahn erfasst und dabei so schwer verletzt, dass er noch am Unfallort starb.

Wie es dazu kommen konnte, darüber herrscht auch zwei Tage nach dem tödlichen Unfall – dem ersten solcher Art in Potsdam seit der Wende – große Unklarheit. „Es wird ermittelt, wir tragen Zeugenaussagen zusammen“, sagte gestern Janet Andreas von der Potsdamer Polizei. Ob das 17-jährige Opfer betrunken war, könne sie noch nicht sagen, so Andreas. Dies werde aber untersucht. Gleichzeitig habe die Staatsanwaltschaft die Dekra beauftragt, die Unfallbahn, eine Tatra der Linie 92, auf technische Defekte zu untersuchen. Das Gutachten müsse abgewartet werden.

Bekannt ist deshalb bisher nur, was die Augenzeugen des Unfalls berichten – es warteten am Samstag gegen Mitternacht wohl viele Menschen am Stopp „Campus Fachhochschule“ auf die Bahn, denn erst eine knappe Stunde zuvor war im Volkspark die 6. Potsdamer Feuerwerkersinfonie zu Ende gegangen. Die Veranstaltung soll auch Marc-Philip gemeinsam mit Freunden besucht haben. Was dann an der Haltestelle geschah, schildern Augenzeugen unterschiedlich: Der Jugendliche sei beim Einsteigen in den zweiten Wagen abgerutscht und dann unter die Bahn geraten. Der Rucksack des Jungen habe sich an der Tür verhakt, und der 17-Jährige sei von der Tram mitgeschleift worden – was der Fahrer wegen der vielen Menschen nicht gesehen habe. Im Internet schreibt eine Augenzeugin, die Türen der Tram seien offen gewesen, als sie losfuhr: „Der Junge ist noch mitgerannt und hielt sich an der offenen Tür fest, bevor er unter die Bahn gerutscht ist.“

Dass die Tatra mit geöffneter Tür losgefahren sein könnte, schloss Martin Weis, Geschäftsführer des Potsdamer Verkehrsbetriebs (ViP), dagegen aus. Ein Sicherheitsmechanismus verhindere dies – und der sei nicht defekt gewesen. Das habe eine Untersuchung der Tatrabahn durch Techniker des ViP am Samstag ergeben: „Es gab keinen Defekt“, so Weis gestern. Bei der Untersuchung seien nur Spuren des Unfalls am ersten Drehgestell des zweiten Wagens gefunden worden. Dass auch die Dekra die Bahn untersuchen soll, wusste der ViP-Chef gestern noch nicht. Die Tram sei aber nach der Untersuchung abgestellt und „verriegelt“ worden.

Ein „organisatorisches Verschulden“ des Verkehrsbetriebs an dem tödlichen Unfall schloss der ViP-Chef gestern ebenfalls aus. Der Fahrer der Unglücks-Tram sei „erst knapp über der Mindestfahrzeit“ – sie liege bei vier Stunden – im Dienst gewesen. „Überlastung ist deutlich nicht der Fall“, so Weis. Natürlich sei es dennoch „theoretisch“ möglich, dass ein Mensch unter die Bahn komme und mitgeschleift werde. Der Fahrer könne dies aufgrund der Schwere der Fahrzeuge kaum merken. Er sei aber verpflichtet, im Losfahr-Moment über Spiegel die Bahn zu kontrollieren. Deshalb müssten Tramhaltestellen auch eine Mindestbeleuchtung haben.

Der Fahrer der Tatra 92 soll heute zu dem Unfall befragt werden, sagte der ViP-Chef. Er habe nach dem Vorfall unter Schock gestanden und werde psychologisch betreut. Dies sei im so genannten „Eschede-Programm“ festgelegt, das die Deutsche Bahn nach dem Zugunglück von Eschede 1998 entwickelt habe. Er sei damals bei der Deutschen Bahn beschäftigt gewesen, habe das Programm miterstellt und es auch beim Potsdamer Verkehrsbetrieb eingeführt, so Weis.

Es sieht vor, dass erst am zweiten Arbeitstag nach einem Unglück der Bahnfahrer befragt wird – auch wenn es ihm, wie laut Weis in diesem Fall – schon vorher zunächst besser gehe. Am selben Tag soll auch Kontakt zu den Angehörigen des Opfers aufgenommen werden. „Wir werden der Familie heute unser Beileid aussprechen und schauen, ob wir etwas tun können, um den Angehörigen zu helfen“, so Weis.

Auch in Berlin-Zehlendorf ist am Wochenende ein 17-Jähriger bei einem Bahn-Unfall getötet worden: Der Jugendliche war ins Gleisbett der U-Bahn am Bahnhof Krumme Lanke gestiegen und dort auf die Starkstromschiene gefallen. Er hatte offenbar die Nacht zuvor mit Freunden am See Krumme Lanke verbracht. Gegen 6.30 Uhr wollten sie mit der U-Bahn nach Hause nach Tempelhof fahren. Um sich die Wartezeit auf dem Bahnsteig zu vertreiben, wurde ein Gummiball geworfen. Diesen wollte der 17-Jährige offenbar aus dem Gleisbett zurückholen.

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