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Komplex. Hunger und Sättigungsgefühl sind biologisch geregelt.

© Thilo Rückeis

Von Heike Kampe: Der Kalorienzähler im Gehirn

Im Hauptvortrag des diesjährigen Leibniz-Kollegs gab es Einblicke in die Chemie des Hungers

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Es begann mit Rinderwahn und männlicher Kochkunst: Die fünf Sänger der Potsdamer A-cappella-Gruppe „Das Hohe C“ stimmten die Besucher zum Finale des 14. Leibniz-Kollegs Potsdam, die sich am vergangenen Donnerstag zahlreich im Auditorium Maximum der Universität eingefunden hatten, mit einer ordentlichen Portion Satire auf das Thema Ernährung ein.

Der Hauptvortrag des diesjährigen Leibniz-Kollegs entführte die Zuhörer in die Welt der Molekularbiologie. Das Zusammenspiel von Genen, Hormonen und Enzymen ist das Metier von Prof. Jeffrey Friedman von der Rockefeller Universität New York. Er erklärte dem Publikum die Zusammenhänge zwischen Fettleibigkeit und der genetischen Ausstattung. Auf diesem Forschungsgebiet ist der Molekularbiologe ein Pionier der ersten Stunde. Dass eine Ursache für Fettsucht in den Genen liegt – davon war der Wissenschaftler schon früh überzeugt: „Ich suche nach der Nadel im Heuhaufen. Und ich werde sie finden, weil ich weiß, dass sie da ist.“

Seine Hartnäckigkeit wurde 1994 belohnt: Friedman entdeckte ein Gen, das den Code für ein Hormon trug, das offensichtlich einen starken Einfluss auf die Nahrungsaufnahme und das Gewicht von Mäusen hatte. Er nannte das Hormon Leptin. Mäuse, die ein defektes Leptin-Gen hatten, also kein Leptin produzieren konnten, wogen dreimal so viel wie ihre gesunden Artgenossen. Damit hatte Friedman bewiesen: die Gene haben Einfluss auf unser Gewicht. Mit der Erforschung der Wirkungsweise des neuen Hormons konnte er zugleich zeigen, dass es einen komplexen biologischen Regulationsmechanismus zwischen Hunger und Sättigungsgefühl gibt, dessen wesentlicher Baustein das Leptin ist. Die Ergebnisse ließen sich auch auf den Menschen übertragen. Wie viel wir essen und wie groß unsere Energiespeicher – also Fettpölsterchen – sind, hängt vom Leptin ab. Fehlt das Leptin-Gen oder ist es defekt, leiden die Betroffenen unter einem ständigen, unstillbaren Hunger und massiver Fettsucht. Werden sie mit dem Hormon behandelt, verschwindet das krankhafte Übergewicht.

Jedoch gibt es „nur einige Dutzend Menschen“, bei denen die Produktion von Leptin aufgrund eines Gendefektes nicht funktioniert, erklärte Friedman. Die meisten Menschen mit Fettsucht hätten einen sehr hohen Leptin-Spiegel. Denn das Hormon wird von den Fettzellen des Fettgewebes produziert. Ist viel Fettgewebe vorhanden, wird viel Leptin freigesetzt. Bei gesunden Menschen reagiert das Hormon mit Rezeptoren im Gehirn, der Hunger verschwindet. Bei einigen Menschen ist diese Signalübertragung jedoch gestört. Das Leptin kann seine Wirkung nicht entfalten. Dies kann ebenfalls zu Fettsucht, aber auch zu starkem Untergewicht führen. Die molekularen Ursachen dieser Leptin-Resistenz sind Gegenstand der aktuellen Forschung. „Wir fangen gerade erst an zu verstehen, was im Gehirn passiert“, so Friedman.

Heike Kampe

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