Landeshauptstadt: Der Kick mit der Sprühdose
Potsdams Sprayer-Szene fühlt sich aus dem Stadtbild gedrängt / Polizei registriert mehr illegale Graffitis
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Sie fühlen sich verdrängt. Nachdem während der viele Bauarbeiten an der Schiffbauergasse viele bunt bemalte Wände seit Anfang April plötzlich verschwunden sind, gibt sich Potsdams Sprayer-Szene wütend. „Gegen die Yuppisierung unserer Stadt“, heißt es auf Handzetteln. Jüngst fanden sich mehr als 200 Jugendliche in der Schiffbauergasse ein, um die Wände des so genannten Fischhauses mit Genehmigung der nahe gelegenen „fabrik“ zu gestalten – doch auch dieses Gebäude soll noch in diesem Jahr abgerissen werden. „In Potsdam soll alles immer sauberer aussehen“, sagt einer aus der Szene – und meint das durchaus als Kritik.
Der Konflikt zwischen der wahrgenommenen eigenen Kreativität und Bürgern, die Graffiti als Schmiererei sehen – er ist so alt wie die Bewegung selbst. Entstanden Ende der 1960er Jahre galt Graffiti schon damals bei vielen Leuten eher als Sachbeschädigung denn als Kunst – während die Szene selbst die illegale Gewinnung öffentlicher Räume für alternative Subkulturen feierte.
Ordnungsämter und Polizei sehen das naturgemäß anders: 153 Verdächtige wurden im vergangenen Jahr registriert, davon 85 Jugendliche. 2006 fing die Polizei allerdings noch 189 Verdächtige. Gleichzeitig stieg die Zahl der gemeldeten Graffiti stark an: Waren es 2006 noch 1162, wurden im vergangenen Jahr 1808 Sprühereien von der Polizei als Straftaten registriert. Die Aufklärungsrate liegt laut Polizei bei knapp 30 Prozent.
Auch die Verwaltung beschäftigt sich mit Graffiti: 60 0000 Euro hat Potsdam im vergangenen Jahr für die Beseitigung von Sprühereien ausgegeben. Dagegen setzt die Stadt vier ABM-Kräfte ein, die stadtweit nach Graffitis suchen und sie per Computer erfassen. So hat die Potsdamer Verwaltung in einer Datenbank inzwischen 14 500 Graffitis in der Stadt gesammelt. Monatlich werden 750 Tags – also Graffiti-Logos – zusätzlich aufgenommen. „Die Erfassung ist ein wichtiges Hilfsmittel für die Polizei, weil so die Beweislage besser ist“, sagt Ursula Löbel, Leiterin der Potsdamer Sicherheitskonferenz. Denn meist nutzen zumindest illegale Sprayer jeweils ein besonderes Tag, dass möglichst oft im Stadtgebiet zu sehen sein soll. Deswegen will es Löbel auch vermeiden, bestimmte in Potsdam verbreitete Graffiti-Logos zu benennen: Dies könnte ermuntern, aktiver zu sprühen.
Doch was ist der Reiz des Verbotenen? Falko Rheinberg und Yvette Manig haben darüber vor fünf Jahren eine Arbeit am Institut für Psychologie der Universität Potsdam geschrieben – und kommen zu folgenden Einschätzung: Das Streben nach kreativer Verbesserung, positive Emotionen beim Abschalten vom Alltag, der Kick von Grenzerfahrungen und das Gruppengefühl seien die Triebfedern für das Tun. „Bevorzugt werden Flächen, wo es gefährlich ist“, beobachtet auch Löbel.
Doch dann gibt es auch die nach eigenen Angaben legalen Sprayer, die beim gemeinsamen Sprühen in der Schiffbauergasse über die verschwundenen Wände schimpfen. Löbel hat für den Abriss eine einfache Erklärung: „Die Mauer widersprach dem Sanierungsziel, die Gebäude in der Schiffbauergasse durch qualifizierte Freiräume zu verbinden.“ Auch der „fabrik“-Leitung sei der Abriss bekannt gewesen, Ersatz sei nicht vorgesehen. Sie nennt aber fünf andere Sprayer-Flächen: Unter anderem eine neue Wand am Groß Glienicker Kreisel. Die ist nach starken Regenfällen zur Zeit jedoch häufig überschwemmt. Erst am 20. Mai entscheidet der zuständige Ortsbeirat, ob 2500 Euro für die Entwässerung bezahlt werden. Schwere Zeiten für Potsdams Sprayer.
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