zum Hauptinhalt

PASSIONSpredigt: Der Kuss des Judas

Die Diktaturbeauftragte Ulrike Poppe sprach über Vertrauen und Verrat

Stand:

„Genosse Judas“ heißt ein Buch über Ibrahim Böhme, den einstigen Hoffnungsträger der Ost-SPD, dessen Stasi-Verstrickungen ihn 1990, wenige Monate nachdem er das Licht der politischen Öffentlichkeit erblickt hatte, gleich wieder zum Rückzug zwangen. Den Spitzelvorwurf hat Böhme zeitlebens bestritten. Der frühere SPD-Mann starb 1999 im Alter von nur 55 Jahren.

In ihrer Passionspredigt am vergangenen Sonntag in der Potsdamer Nikolaikirche charakterisierte Ulrike Poppe den Kurzzeit-Frontmann der DDR-SPD als einen getriebenen und stark gespaltenen Menschen. Poppe, heute als Diktaturbeauftragte des Landes Brandenburg tätig, predigte am Sonntag im Rahmen der diesjährigen Reihe von sechs Passionspredigten in der Nikolaikirche. Verrat und Vertrauen war das Thema ihrer Predigt. Ein Thema, das wie gemacht schien für Poppe, die einst selbst von der Stasi bespitzelt wurde und sich nun von Berufs wegen tagtäglich mit den Folgen der DDR-Spitzeldiktatur auseinanderzusetzen hat.

Biblische Textgrundlage für Poppes Predigt war das Wort aus dem 41. Psalm: „Auch mein Freund, dem ich vertraute, der mein Brot aß, tritt mich mit Füßen.“ Poppe stellte in ihrer Predigt einen Bezug dieser alttestamentlichen Textstelle zum Verrat Jesu durch Judas her. Eine Querverbindung vom Alten in das Neue Testament, die der Theologie durchaus nicht fremd ist. Der Judaskuss, als Ausdruck des Verrats scheine auch heute noch verwerflicher als der offene Dolchstoß, sagte Poppe. Die Menschen seien auf Vertrauen angewiesen. „Ohne Vertrauen ist der Mensch nicht lebensfähig“, so Poppe. Werde dieses Vertrauen dennoch enttäuscht, treffe dies die Verratenen oft sehr tief. Sie erfahre immer wieder, sagte Poppe, dass die ausgehorchten Opfer von Diktaturen einen erheblichen „Verlust an Weltvertrauen“ erlitten.

Sie selbst sei von Ibrahim Böhme, dem „Genossen Judas“, bespitzelt worden. Und doch, erklärte Poppe am Sonntagabend, habe sie noch am Sterbebett Böhmes die Hoffnung gehegt, sich mit ihm versöhnen zu können. Aber Böhme habe den Vorwurf der Spitzeltätigkeit stets bestritten. Diese Realitätsverweigerung habe einer Versöhnung im Wege gestanden. „Ich hatte den Eindruck, dass er diesen Teil von sich selbst abgespalten hatte“, sagte Poppe in ihrer Predigt.

Auch der enttäuschte Beter im 41. Psalm, dessen Vertrauen in seinen Freund bitter enttäuscht wurde, habe dennoch sein Vertrauen nicht verloren, wenn er zum Herrn betet und ihn um Hilfe bittet. Vielleicht sei dies noch kein Gottvertrauen, aber zumindest Hoffnung drücke sich darin aus. Und ohne solche Hoffnung, solches Vertrauen, so Poppe, könnten wir alle nicht leben. HC

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })