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Eine von sieben. Seit Freitag erinnert eine Tafel in der Friedrich-Ebert-Straße an Carola Müller. Dass die Geschichten der sieben mutigen Potsdamer aus der Zeit des Holocaust überhaupt sichtbar werden, ist Davyd Rozenfeld zu verdanken. Seit fünf Jahren kämpft er dafür, dass auch in ihrer Heimatstadt an die Retter der Juden erinnert wird.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Der Mut der Gerechten

Carola Müller hat dem Nazi-Regime getrotzt, ihr Essen mit Juden geteilt. Jetzt wird an die Potsdamerin erinnert

Stand:

Sieben Tage Haft. Sieben Tage bangen um eine Lebensretterin, die doch nur ihre jüdischen Freunde schützen wollte.

Es gab sie überall inmitten der Judenvernichtung. Menschen, die sich zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs gegen die Verbrechen des Nazi-Regimes stellten. Die den Gefahren trotzten und Juden vor der Vernichtung retteten. Menschen wie die Potsdamerin Carola Müller.

In der damaligen Nauener Straße 26, dort wo heute die Straßenbahnen über die Friedrich-EbertStraße rollen und Frauen durch die Tür zu einem Beautysalon huschen, hat Carola Müller ihr Leben riskiert. Die geborene Thimm, Tochter eines Handelsschuldirektors und einer Frauenärztin, war nicht bereit, sich von ihren jüdischen Freunden loszusagen. Die junge Frau fand einen Weg, das verfolgte Ehepaar Louis und Victoria Hagen vor dem Hungertod zu retten. Die Gestapo hatte das Paar unter Hausarrest gestellt. Müller schlich sich in ihr Haus, um ihre eigene, schmale Essensration mit ihnen zu teilen – bis sie dabei erwischt wurde.

Carola Müller ist eine von sieben Potsdamern, die für ihren Einsatz geehrt werden. An den ehemaligen Wohnhäusern der Betreffenden soll an sie erinnert werden. Aus Anlass des gestrigen Gedenkens an die Pogromnacht 1938 wurde für sie eine Gedenkplatte in der Friedrich-Ebert-Straße 106 enthüllt. Es ist die dritte von fünf geplanten Tafeln.

Carola Müller zählt wie die anderen sechs Potsdamer Helfer zu den 510 Deutschen, die von der israelischen Gedenkstätte „Yad Vashem“ als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannt wurden. Es handelt sich um die höchste Auszeichnung, die der Staat Israel an Nichtjuden vergeben kann. Weltweit gibt es mehr als 24 000 Gerechte, die während der Zeit des Nationalsozialismus Juden geholfen haben. Seit 1979 zählt Müller dazu.

„Möge sie jungen Potsdamern als Beispiel dafür dienen, dass Terror und Unterdrückung nicht hingenommen werden dürfen“, sagte Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) bei der Enthüllung der Platte, zu der sich am Freitag zahlreiche Gäste eingefunden hatten. Jakobs sagte, dass die Potsdamer für andere Menschen einstehen, egal welcher Religion, Gesinnung, Rasse oder sexueller Orientierung sie angehören. Im Zweifel wolle man jeden gegen Willkür und Verfolgung beschützen, „wo immer wir es können“.

Dass die Geschichten der sieben Potsdamer überhaupt sichtbar werden, ist Davyd Rozenfeld zu verdanken. Seit fünf Jahren kämpft der Holocaust-Überlebende dafür, dass nicht nur in Israel, in „Yad Vashem“, an die Potsdamer erinnert wird, sondern auch in ihrer Heimatstadt selbst. Im Internet und in Bibliotheken hat sich der 81-Jährige auf die Suche nach den Menschen und ihren Geschichten gemacht. Im „Lexikon der Gerechten unter den Völkern“ für die Länder Deutschland und Österreich wurde er fündig – allerdings im Fall Carola Müllers ohne Hinweis auf Potsdam. Dass die junge Frau einst hier lebte, habe erst die Historikerin Edeltraud Volkmann-Block vom Potsdam-Museum ausfindig gemacht, so Rozenfeld. Zwei weitere Tafeln erinnern bereits an die anderen „Gerechten“: So nahm Maimi von Mirbach unter anderem eine jüdische Studentin in ihrer Wohnung in der Alleestraße auf und schickte Lebensmittel und Geld in das Konzentrationslager Theresienstadt. Auch an den Pfarrer Günther Brandt erinnert seit März eine Tafel in der Burgstraße 32.

Für Dorothea Schneider und ihre Tochter Christa-Maria Schneider-Lyckhage ist eine Tafel geplant. In ihrer Wohnung in der Wielandstraße versteckten die Frauen mehrere Juden unter falschem Namen. Christa-Maria Schneider-Lyckhage lebt heute im schwedischen Göteborg. In einem Jahr soll auch die letzte Tafel angebracht werden, die an Annemarie und Helmuth Sell erinnert, die in der Kaiserstraße – der heutigen Karl-MarxStraße – wohnten und einem jüdischen Jungen gefälschte Papiere für die Ausreise besorgten. Bezahlt werden die Tafeln von der Stadt.

„Es gibt noch Vorbilder für Menschlichkeit“, sagt Davyd Rozenfeld. Das Mitglied der Jüdischen Gemeinde verlor selbst fast seine gesamte Familie im Lager und bei Gewaltmärschen, zu denen er 1941 mit Tausenden anderen jüdischen Einwohnern der rumänischen Landschaft Bessarabien – dem heutigen Moldawien – gezwungen wurde. Sein Wissen über die „Gerechten“ Potsdamer will er nun am liebsten mit Schülern teilen, sagt Rozenfeld. Gemeinsam könne man an einem Informationsblatt arbeiten, schlägt er vor.

Darauf könnte die Geschichte von Carola Müller weitererzählt werden. Wie sie sieben Tage im Gestapo-Gefängnis eingesperrt war. Wie Freunde und Familie um sie bangten, bis das Bitten und Betteln ihrer Mutter Wirkung zeigte. Carola Müller wurde entlassen und das Ehepaar Hagen konnte später in die USA fliehen. Nach dem Krieg verließ die mutige Potsdamerin die Stadt. Im Jahr 1980 verliert sich ihre Spur in Fort Lauderdale im US-Bundesstaat Florida.

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