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Landeshauptstadt: Der Ofen muss rauchen

Bundestagsabgeordnete besucht Bezirksschornsteinfeger, dessen Zunft vor Veränderungen steht

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Babelsberg - „Soviel Glück auf einmal kann ich nicht wieder haben.“ Das dachte sich Andrea Wicklein, als vor dem Bundestag 150 Schornsteinfeger in voller Montur auftauchten und für die Beibehaltung des sogenannten „Schornsteinfeger-Monopols“ in Deutschland protestierten. Die SPD-Bundestagsabgeordnete aus Potsdam ist für ihre Fraktion Berichterstatterin für die Reform des Schornsteinfegerwesens. Die Kommission der Europäischen Union (EU) fordert von Deutschland, den Markt für Kaminkehrer zu liberalisieren. Bislang darf einem nur der Bezirksschornsteinfeger aufs Dach steigen, um den Schornstein zu überprüfen. Und dieser wiederum durfte keine anderen Leistungen anbieten. Kaum besser lässt sich die Situation ausdrücken als mit diesem Witz: Kommt ein Schornsteinfeger in die Kneipe. Sagt der Wirt: „Der geht aufs Haus.“ Was soll er auch sonst tun? Beispielsweise die Heizung zu warten oder zu reparieren, war ihm bislang untersagt.

„Ihr Politiker wisst nicht, wovon ihr redet.“ Auf dieses von den schwarzen Männern vorgetragene Vorurteil reagierte Andrea Wicklein mit dem Versprechen, sich den Arbeitsalltag eines Monopol-Kaminkehrers einmal genauer anzusehen. Gestern war es soweit, gemeinsam mit Bezirksschornsteinfeger Jens Kahl inspizierte die Abgeordnete etliche Babelsberger Feuerstellen. Zielsicher führte der 42-jährige Kaminkehrer in eine leere Wohnung, die saniert werden soll. Der alte Kachelofen ist bereits abgerissen, im Kaminschacht klafft ein rundes schwarzes Loch, das notdürftig mit Aluminium-Folie zugestopft ist. Allerdings ist der Schacht nicht stillgelegt, in den anderen Wohnungen wird noch geheizt. „Wenn hier Funken rauskommen, haben wir schnell einen warmen Abriss“, sagt Kahl trocken. Um die Brandgefahr zu beseitigen, hat er die Hausbesitzerin angewiesen, das Loch zumauern zu lassen. Dass seine Lebensstellung in Gefahr ist – nach altem Gesetz könnte er bis zum Alter von 65 Jahren das sein, was er jetzt ist, nach neuem müsste er sich alle sieben Jahre neu auf die Stelle des Bezirksbevollmächtigten bewerben – macht ihn zu einem Verteidiger des Status quo: Deutschland habe die niedrigste Zahl an Kohlenmonoxid-Toten, gibt er zu bedenken. Das bestehende System habe sich bewährt. Künftig sollen auch andere Schornsteinfeger-Meister, die nicht Bezirksbevollmächtigte sind, „freie“, das heißt, „nicht-hoheitliche“ Schornsteinfegerarbeiten ausführen dürfen. Dass diese hoheitlichen Aufgaben – regelmäßige Kontrolle der Feuerstätten etwa – überhaupt noch existieren, dafür habe Deutschland mit der EU-Kommission gerungen, erklärt Andrea Wicklein. Aufmunternd erinnert sie Kahl daran, dass er künftig dann auch andere Leistungen anbieten und mehr verdienen könne als jetzt. Bislang darf er Heizungsanlagen überprüfen, aber nicht reparieren. Schon jetzt schrieben Heizungsbauer viele Briefe an den Bundestag, darin die Befürchtung ausdrückend, die Schornsteinfeger könnten ihnen Konkurrenz machen. Und tatsächlich: „Wir bereiten uns darauf vor, dass sich der Markt ändern wird“, erklärt Kahl. Nach der fünfjährigen Übergangsfrist wird die Schornsteinfeger-Zunft ihr Glück wohl auch in anderen Metiers versuchen.

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