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Landeshauptstadt: Der Schlüsselträger

Hausmeister mit Auftrag: 40 000 Haushalte beziehen ihr Fernsehen aus Winfried Köhlings Neubaublock

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Winfried Köhling hat den Schlüssel zur gelungenen Abendgestaltung. Der Hausmeister trägt ihn buchstäblich in der Hosentasche. Denn im Keller „seiner Wohnscheibe“ in der Lotte-Pulewka-Straße verbirgt sich etwas anderes als Fahrräder und Werkzeugkisten. Im Kellerraum reihen sich Meter an Meter weiße Schränke mit unzähligen Knöpfen und Lämpchen. Von hier geht das Kabelfernsehen für etwa 40 000 Haushalte in Potsdam und Umgebung ins Netz.

Der Berliner Kabelanbieter RKS mietet den Raum von der Wohnungsgenossenschaft Karl Marx und hat 2002 dort eine so genannte „Kopfstation“ eingerichtet. „Wir holen hier die Fernsehprogramme aus dem Himmel – über die Satelliten und leiten sie dann an die Haushalte weiter“, erklärt Matthias Levy von RKS. Das funktioniere wie eine private Satellitenanlage, die jeder in seinem Wohnzimmer nutzen könne, so Levy. Nur ist die in Köhlings Keller rund „100 Mal“ größer. Und statt einer kleinen Satellitenschüssel stehen auf dem Dach des Plattenbaus in der Pulewka-Straße gleich drei mit jeweils zwei Metern Durchmesser.

Die Technik ist nicht nur groß, sondern auch teuer: 450 000 Euro hat die Kopfstation laut Levy gekostet. Darum ist der Keller alarmgesichert. Im Fall eines Einbruchs wären Polizei und Wachdienst sofort zur Stelle, versichert Klaus Bergemann von der Wohnungsgenossenschaft. „Hier kommt keiner unbescholten rein“, stellt auch Köhling gleich klar. Nur ausnahmsweise öffnet er die Tür für ein Foto. Denn „der Raum ist auch für mich tabu“, verrät er. Lediglich der RKS-Techniker, der alle zwei Wochen die Anlage kontrolliere, dürfe den Keller betreten. Doch Köhling sei als Schlüsselträger „eine Vertrauensperson“, so Bergemann.

Vertrauensperson ist der Hausmeister auch für seine rund 900 Bewohner. Acht Jahre betreut er nun schon zehn Aufgänge in der Lotte-Pulewka-Straße und im Humboldtring. 464 Wohnungen hat er unter seiner Obhut. Der Potsdamer lebt selbst seit 20 Jahren hier. Und so zählen für ihn nicht nur die Bausubstanz, sondern vor allem die Menschen: „Ich kenne sie alle“, sagt er. Gerade um die Älteren, darunter eine 103 Jahre alte Dame, kümmere er sich. „Man muss zuhören können“, sagt er. Und so sitze er manchmal einfach eine halbe Stunde mit auf der Couch und lauscht den Sorgen und Freuden der Mieter. Die letzte große Herausforderung im Block war die Evakuierung wegen der Bombenentschärfung vor zwei Wochen. Den ganzen Vormittag dauerte es, bis wirklich alle das Haus verlassen hatten. Denn den Mitarbeitern vom Ordnungsamt, die die Leute zum Verlassen der Wohnung bewegen sollten, schlug Skepsis entgegen. Daran hat Köhling zum Teil selbst mit „Schuld“, gesteht er. Er habe „seinen alten Damen“ immer eingeschärft, Fremden die Tür nicht zu öffnen. Aus Sorge vor Betrügern, wie dem, der sich neulich als Bankangestellter ausgab und „Einblick ins Konto“ verlangt hatte. „Meine Stimme öffnet hier aber Türen“, so Köhling. Und darum lief am 21. Juli die Evakuierung auch letztendlich glatt.

Den Umgang mit Menschen hat Köhling in seinem früheren Beruf gelernt. 37 Jahre lang war er im Gastronomiegewerbe tätig, ehe er ins Hausmeisterfach wechselte. Nach seiner Ausbildung arbeitete er in Leipzig und Magdeburg, ging auch ins Ausland. Im ungarischen Debrecen, der „Hauptstadt der Puszta“, arbeitete er ein halbes Jahr lang. Vor der Wende war Köhling Gaststättenleiter des „Klubs der Künstler und Architekten Eduard Claudius“ in der Schloßstraße. „Ein passables Restaurant, Preisstufe S“, sagt Köhling und man hört den Stolz in der Stimme. „Das war zu DDR-Zeiten die höchste Preisstufe“ erklärt er.

Die Wende war für Köhling der Beginn der beruflichen Wende. „Am 30. Mai 1990 mussten wir das Lokal besenrein übergeben“, erinnert er sich. „Sonst wäre ich wohl noch da.“ Heute befindet sich in dem Gebäude die Spielbank. Eine Zeit lang war Köhling weiter als Hotelleiter tätig, bis er dann 1996 arbeitslos wurde. „Eine schwere Zeit“, sagt er heute über die 18 Monate. „Aber ich habe nicht locker gelassen beim Arbeitsamt.“ 1998 fing er bei der M.I.R. Haus- und Gebäudeservice GmbH an. Seitdem ist er mit ganzem Herzen Hausmeister – noch bis Ende des Monats. Denn am 31. August 2006 wird der 64-Jährige in Rente gehen.

Dann muss er auch den Schlüssel für die Kabel-Kopfstation abgeben. Pläne für die Zeit danach hat Köhling bisher keine. Ein Auge auf den Block will er auf jeden Fall weiterhin werfen. Dann aber nicht mehr in der grünen Arbeitslatzhose, sondern „in zivil“. Und außerdem könne er sich endlich mehr Zeit für die Familie und das Enkelkind nehmen. Und vielleicht auch für“s Fernsehen mit den Bildern aus dem teuersten Keller seines Blocks.

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