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Landeshauptstadt: Der Sternen-Kolumbus vom Babelsberg

Der Potsdamer Astrophysiker René Heller ist Mitentdecker von Planeten, auf denen Leben möglich ist

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Nicht nur beim Geldverdienen, bei den Finanz- und Warenströmen ist die Welt inzwischen weitgehend eine geworden. Auch die wissenschaftliche Gemeinschaft ist globalisiert – vielleicht mehr als alle anderen Lebensbereiche und sicher auch weniger umstritten.

Von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt überzieht ein dichtes Forscher-Netzwerk die Kontinente – auch von Potsdam aus.

Jüngstes Beispiel dafür sind die Meldungen über die neueste Entdeckung von Sonnensystemen mit Planeten, auf denen Leben denkbar erscheint in nicht all zu großer Entfernung von unserer Erde – 22 Lichtjahre weg und damit im galaktischen Maßstab gerade einen Katzensprung entfernt.

Diese Erkenntnisse sind Teamarbeit von deutschen und amerikanischen Forschern und unter ihnen ist mit René Heller auch ein Potsdamer Wissenschaftler, der bis Mai dieses Jahres am Babelsberger Leibniz-Institut für Astrophysik gearbeitet hat. Heller, der 33 Jahre alte Mitentdecker des Planeten und damit eine Art moderner Kolumbus, war in dieser Woche nicht erreichbar. Er ist mit seiner Familie unterwegs – und auch am AIP in Potsdam wusste man nicht, wo. Aber in Seattle, im US-Staat Washington und neun Zeitzonen entfernt, gibt sein Kollege Rory Barnes gerne bereitwillig Auskunft über die Zusammenarbeit mit dem Forscher aus Brandenburg, den er seit gut fünf Jahren kennt. „Wir sind in dieser Zeit Freunde geworden“, sagt er.

Heller selbst beschreibt sich im Internet selbst so: „René Heller heißt mein Name. Ich selber habe keinen. Barfuß laufen macht mir Spaß, auch koche ich gern für alle, die gute Menschen sind, einen Milchreis und esse die Reste selber auf“, schreibt er über sich auf der Seite der A-Capella-Band „JuiceBox“, in der er den Bass singt. Es amüsiere ihn, wenn ihn Leute nach einem Horoskop fragen, „weil ich am Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam arbeite“.

Das internationale Forscherteam, dem Barnes und Heller angehören, fand ein ungewöhnliches Planetensystem – mit sogenannten Super-Erden: Der Stern Gliese 667C besitzt gleich sechs, mit großer Wahrscheinlichkeit sogar sieben Planeten. Damit nicht genug ziehen gleich drei davon ihre Bahn in der lebensfreundlichen Zone des Sterns – also dort, wo flüssiges Wasser auf der Oberfläche möglich ist.

Das ist ein neuer Rekord – und es zeigt nach Ansicht des Entdeckerteams, dass kleinere Sterne mehr erdähnliche Planeten besitzen als große Sterne. Zu dem Entdeckerteam um Barnes gehören neben dem Potsdamer Heller auch deutsche Forscher vom Institut für Astrophysik der Universität Göttingen und von der Lohrmann-Sternwarte der Technischen Universität Dresden. Das System stellt gleich noch einen zweiten Rekord auf: Mit einer Entfernung von nur 22 Lichtjahren handelt es sich bislang um die uns am nächsten liegenden lebensfreundlichen Welten außerhalb unseres eigenen Sonnensystems. Dabei handelt es sich um felsige Planeten mit der mehrfachen Masse der Erde. Die Umlaufzeiten der drei Himmelskörper betragen 28, 39 und 62 Tage.

Gliese 667C bietet noch eine weitere Besonderheit. Der Stern ist Mitglied eines weiten Dreifach-Systems. Von der Oberfläche eines der Planeten aus gesehen wären die beiden anderen Sterne etwa so hell wie der Vollmond auf der Erde. Frühere Beobachtungen hatten bereits zwei Planeten bei Gliese 667C identifiziert sowie erste Hinweise auf einen dritten Begleiter geliefert. Mithilfe von Computersimulationen konnten die Forscher zeigen, dass sich die jetzt sechs sicher nachgewiesenen Planeten auf stabilen Umlaufbahnen bewegen. Die Simulationen liefern ein weiteres Indiz für die Existenz des siebten Planeten: Er zieht seine Bahn in der einzig verbliebenen „Insel der Stabilität“ in dem Planetensystem.

Wirklich gesehen haben Barnes, Heller und die anderen Kollegen die Planeten von Gliese 667C und Kepler-62 – ebenso wie die große Mehrzahl der bekannten Exoplaneten – allerdings nicht. Zu schwach leuchten die kleinen Himmelskörper neben ihren wesentlich leuchtkräftigeren Sternen. Die Himmelsforscher sind auf indirekte Methoden angewiesen, um ferne Planeten nachzuweisen.

Seit fünf Jahren arbeiten Heller und sein amerikanischer Kollege Barnes zusammen – seit dem ersten Kontakt haben er und sein älterer amerikanischer Kollege einige Zwischenstationen hinter sich gebracht. Barnes arbeitete zeitweise in Arizona, bevor er nach Seattle gerufen wurde. Heller wird als Nächstes in Ontario, Kanada, seine Forschungsarbeiten fortsetzen. Trotz der Ortswechsel und der jeweiligen beruflichen Veränderungen ist der Kontakt nicht nur nicht abgebrochen, sondern hat sich stets intensiviert. „Dies ist sicher eine ganz neue Form der Forschergemeinschaft, die sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren herausgebildet hat“, sagt Barnes. „Da helfen uns die neuen Kommunikationsformen – wir sind wechselseitig ja sehr leicht erreichbar geworden. Das meiste läuft über den Austausch von E-Mails.“ Nur das direkte Gespräch stößt immer noch auf eine auch für moderne Forscher nur schwer überwindbare Hürde. „Den Zeitunterschied gibt es ja nach wie vor und neun Stunden erschweren natürlich die Kommunikation zwischen Potsdam, überhaupt Europa und der Westküste der USA.“ Die Sprache dagegen ist längst kein Problem mehr. In dieser globalen Forscherwelt sprechen alle Englisch und auch die allermeisten Veröffentlichungen sind nur noch in dieser Sprache verfügbar. „Heller und seine Kollegen können das so fließend, dass wir zumeist gar keinen Unterschied bemerken. Manchmal macht der eine oder andere bei Texten noch einen kleinen Grammatikfehler – aber dafür sind wir dann ja da, dass wir das korrigieren.“ Und aus Barnes Sicht treten bei solchen Freundschaften die kulturellen Unterschiede, die mit der unterschiedlichen Herkunft zusammenhängen, schnell in den Hintergrund. „Unsere gemeinsame Wissenschaftskultur ist viel stärker als das, was uns ansonsten trennen mag.“

Barnes war bisher zweimal in Deutschland – in Berlin. „Das ist eine wunderbare Stadt, eine echte Entdeckung für mich“, sagt er. Nach Potsdam ist er dabei nicht gekommen. Und bisher hat ihn auch niemand eingeladen, die vielfältigen wissenschaftsgeschichtlichen Bezugspunkte der Region etwas näher kennenzulernen. Dass das Institut von Heller als Nachfolgerin der alten Berliner Sternwarte wesentliche Momente der Erforschung des Weltalls verkörpert, ist ihm weitgehend unbekannt. Und auch die Bezüge zu dem in den USA hoch verehrten Albert Einstein kennt er nicht. „Das ist ja wirklich äußerst interessant“, sagt Rory Barnes dazu, der noch nie vom Einsteinturm, überhaupt von den Einrichtungen in Babelsberg wie auch auf dem Potsdamer Telegrafenberg gehört hat. Zwischen den virtuellen Netzwerken der Forscher und dem Erleben der Traditionen, in denen sie groß geworden sind, klafft offensichtlich eine große Lücke. Der Wissenschaftsstandort Potsdam mit seiner bedeutsamen und lang zurückreichenden Geschichte ist in Seattle ein wahres Niemandsland.

Mitarbeit: Rainer Kayser

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