
© Karl-Josef Hildenbrand /dpa
Forschung in Potsdam: Der Tag beginnt mit Twitter
Potsdamer Sprach- und Schlafforscher entdecken soziale Netzwerke als ergiebige Datenquelle.
Stand:
Rund eine Million Kurznachrichten versenden die Deutschen jeden Tag über Twitter. Sie tauschen Belanglosigkeiten, diskutieren das Weltgeschehen, berichten über ihren Alltag – und wünschen sich einen „Guten Morgen!“. Diesen letzten Punkt haben sich die Computerlinguistin Tatjana Scheffler von der Universität Potsdam und der Physiker Christopher Kyba vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) genauer angeschaut. Denn sie interessierten sich für die Aufwachzeiten der Twitter-Nutzer und gingen der Frage nach, ob sich diese über eine sprachliche Analyse der Tweets bestimmen lassen.
Interessant ist dies vor allem für Schlafforscher und Chronobiologen, die biologische Rhythmen erforschen. „Normalerweise sammeln die Forscher Daten darüber in Schlafstudien, die im Schlaflabor durchgeführt werden, oder über Umfragebögen“, erläutert Scheffler. Allerdings seien dafür die Datenerhebung und auch die Auswertung sehr aufwendig. Auch Kyba ist dieses Problem bekannt, denn er forscht zum Thema Lichtverschmutzung und dessen Auswirkungen auf den menschlichen Schlafrhythmus.
Die Phrase „Guten Morgen!“ ist der Schlüsselmoment
Der Kurznachrichtendienst Twitter könnte das Problem der knappen Daten lösen. Die Idee: Die Phrase „Guten Morgen!“ ist der Schlüsselmoment, der mit der Aufwachzeit des Twitternden übereinstimmt. Auf einen Schlag würden die Forscher die Aufwachzeiten Tausender Twitter-Nutzer kennen – und das täglich.
Ob die Idee trägt, überprüften die Forscher nun in einer umfangreichen Studie, die mit dem Sammeln von Tweets begann. Dafür nutzte die Computerlinguistin Scheffler eine Programmierschnittstelle, über die sie Tweets automatisiert abfragen kann. Dabei kann sie bestimmte Suchkriterien angeben – etwa Suchwörter, Hashtag-Schlagwörter oder Nutzer. Um die Aufwachzeiten von Twitter-Nutzern zu untersuchen, filterte sie gezielt alle Tweets mit der Phrase „Guten Morgen!“ heraus und kombinierte diese mit den Zeiten, zu denen sie gesendet wurden.
Damit die Unmengen sprachlicher Informationen erfasst und analysiert werden können, verwendet die Computerlinguistin Programme, die Texte automatisch auswerten können. Doch zunächst müssen diese Programme trainiert werden – eine bestimmte Menge Text versehen die Forscher per Hand mit beschreibenden Attributen. „Annotieren“ heißt der Fachbegriff hierfür. Das Programm lernt auf dieser Basis, bestimmte Textmerkmale selbst zu erkennen und einzuordnen – und kann große Textmengen innerhalb kürzester Zeit auswerten.
Das Verfahren funkioniert
Die Ergebnisse der „Guten Morgen!“-Studie zeigen, dass das Verfahren funktioniert. „Es gibt tatsächlich viele Menschen, die das Handy neben dem Bett haben, und das erste, was sie morgens tun, ist twittern“, bestätigt Tatjana Scheffler. Ein Jahr lang sammelten die Wissenschaftler sämtliche Tweets mit der Phrase „Guten Morgen!“. Insgesamt werteten sie rund 1,5 Millionen Tweets von mehr als 200 000 Nutzern aus. Dabei interessierten sie sich besonders für die Unterschiede zwischen den Aufwachzeiten an Werktagen, an denen der Wecker das Signal zum Aufwachen gibt, und an Sonntagen, an denen die Aufwachzeit eher durch natürliche Faktoren bestimmt wird. „Im Winter und im Frühling folgte die Aufwachzeit an Sonntagen sehr stark der Zeit des Sonnenaufgangs“, erklärt Scheffler. „Das wurde so auch schon in Schlafstudien festgestellt.“ Denn in dieser Jahreszeit stimmt die innere Uhr, die das Signal zum Aufwachen gibt, am ehesten mit dem natürlichen Lichtsignal überein. Dagegen weichen die Aufwachzeiten im Sommer und im Winter von der Zeit des Sonnenaufgangs ab – was auch die Twitter-Daten zeigten. „Das sehen wir als Bestätigung unserer Methode“, betont die Computerlinguistin. Eine gute Nachricht für Chronobiologen.
Die nächste Herausforderung für die Sprachforscherin besteht nun darin, einen Code zu finden, der aus den Twitter-Daten die Zeiten ermittelt, zu der die Nutzer ins Bett gehen. Denn dieser ist für die Erforschung des Wach-Schlaf-Rhythmus ebenfalls wichtig. „Das ist nicht so einfach“, verrät Scheffler. Denn während der Guten-Morgen-Gruß einheitlich von zahlreichen Menschen benutzt wird, gibt es für die Verabschiedung in den Schlaf viele verschiedene Formulierungen. Aber ob „Gute Nacht!“, „Bis morgen!“ oder „Schlaft gut!“ – Scheffler ist optimistisch, dass sie die geeignete Formel finden wird.
Heike Kampe
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: