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Landeshauptstadt: Der Tango tanzende Architekt

Heinrich Alfred Kaiser hatte viele Talente, in Potsdam kennt ihn kaum jemand. Nun erinnert eine Gedenktafel an ihn

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Er traute sich, wovon andere nur träumen konnten: wenigstens einmal im Leben mit Josephine Baker übers Parkett wirbeln. Für ein paar Minuten dieser legendären amerikanischen Tänzerin ganz nahe sein. Dieser Frau, die mit ihrem gewagten Bananenröckchen in der Herrenwelt für verzückte Blicke sorgte. In einem Nachtklub im Berlin der 1920er Jahre, da war die Baker zu Gast.

Hier – so besagt es jedenfalls die Familienlegende ihres mutigen Tanzpartners – hat er sich getraut und spontan mitgetanzt: Heinrich Alfred Kaiser war eigentlich nur als Gast in den Klub gekommen. Doch an diesem Abend ergriff er seine Chance. Sogar die Zeitung soll davon Notiz genommen haben: Die Baker tanzt mit Heinrich Alfred Kaiser.

Diese Anekdote erzählte Kaisers Sohn Peter Michael am gestrigen Sonntag am Rande der Enthüllung einer Gedenktafel für seinen Vater in der Siedlung Stadtheide in Potsdam-West. Der flotte Tänzer von damals war von Beruf nämlich Architekt. Und ihm ist maßgeblich die Gestalt dieses kleinen Potsdamer Stadtteils an der Zeppelinstraße zu verdanken. Um 1920 entwarf Kaiser – womöglich gemeinsam mit Karl Wagenknecht – dieses als Gartenstadt konzipierte Wohnviertel. Seit Sonntag erinnert nun eine kleine Messingtafel an einer Hauswand, unmittelbar am zentralen Platz der Siedlung, an den 1883 geborenen Architekten.

„Verstorben an den Haftfolgen im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944“ steht in dunklen Lettern auf der von Nachfahren des Architekten sowie Pro-Potsdam-Chef Horst Müller-Zinsius enthüllten Tafel. Kaiser war nämlich keinesfalls nur den Vergnügungen des Lebens zugewandt. Der Architekt und leidenschaftliche Tänzer setzte sich unter den Nationalsozialisten einer erheblichen Gefahr aus: Seine Wohnung in der Berliner Kurfürstenstraße 99, gleich gegenüber dem Elefantentor des Zoologischen Gartens, stellte er Verschwörern des gescheiterten Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 zur Verfügung, wie sein Sohn Peter Michael Kaiser erzählte. Hermann und Ludwig Kaiser, Brüder des Architekten, verhandelten hier demnach mit anderen Männern des 20. Juli über die Umsturzpläne gegen Hitler. Hermann habe in direktem Kontakt mit zwei der führenden Köpfe des Anschlags gestanden, Stauffenberg und Goerdeler. Gleich einen Tag nach dem gescheiterten Attentat, berichtete Peter Michael Kaiser am gestrigen Sonntag, seien sein Vater und die beiden Brüder in Kassel festgenommen worden. Dort war die Verwandtschaft zusammengekommen, um Peter Michaels Taufe zu feiern. Der Sohn des Architekten hatte nämlich in besagtem Schicksalsjahr 1944 das Licht der Welt erblickt.

Während Vater Heinrich Alfred und dessen Bruder Ludwig den Krieg überlebten – offenbar wurden sie nicht verraten – verurteilte der Volksgerichtshof Hermann Kaiser zum Tode. Am 23. Januar 1945 wurde er gemeinsam mit Helmuth James Graf von Moltke und weiteren Widerständlern in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Heinrich Alfred Kaiser entließ man hingegen nach einiger Zeit aus der Haft. Er ging mit seiner Familie nach Dresden, denn die Berliner Wohnung, die Kaiser früher zugleich als Architekturbüro und Maleratelier diente, war bereits 1943 ausgebombt worden. In Dresden geriet die Familie in den Großangriff vom 13. Februar 1945 und wurde abermals ausgebombt, erzählte Peter Michael Kaiser. 1946 sei sein Vater an den Spätfolgen der Nazi-Haft gestorben.

Kaiser beschrieb seinen Vater als lebenslustigen Menschen – auch wenn er selbst natürlich keine Erinnerungen an ihn hat. Sein Vater habe neben der Siedlung in Potsdam auch in Berlin und in Kassel Wohnhäuser entworfen. Später habe er vorwiegend als Kunstmaler gearbeitet. Und dann gab es da die große Leidenschaft, den Tanz. „Er war ein großartiger Tangotänzer.“ Und überhaupt sei sein Vater der erste deutsche Tangolehrer gewesen. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts habe er ein Tanzstudio in Berlin eröffnet.

Am Rande der Gedenktafelenthüllung zeigte Kaiser eine goldene Taschenuhr. Die habe sein Vater 1914 als Ehrenpreis bei einem Tanzturnier im Berliner Admiralspalast erhalten. Die Gravur in der Uhr weist tatsächlich auf ein solches Turnier hin. Kaisers Name ist dort allerdings nicht eingraviert, was freilich nicht verwundert, da die Gravur sicherlich schon vor dem Turnier angefertigt wurde. Die Geschichte mit Josephine Baker wolle er übrigens noch einmal genauer recherchieren, sagte Kaiser. Er hoffe, mit viel Zeit im Gepäck in einem Berliner Zeitungsarchiv fündig zu werden.

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