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Homepage: Der Tod sollte leise wirken Sonntagsvorlesung: Der Erste Weltkrieg im Kino

Oberstleutnant Matthias Rogg wäre sofort entlassen worden, hätte er seinen Vortrag mit der Analyse des frühen amerikanischen Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ vor 70 Jahren gehalten. Doch die Militärgeschichte hat in der Zwischenzeit einen enormen Wandel erfahren.

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Oberstleutnant Matthias Rogg wäre sofort entlassen worden, hätte er seinen Vortrag mit der Analyse des frühen amerikanischen Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ vor 70 Jahren gehalten. Doch die Militärgeschichte hat in der Zwischenzeit einen enormen Wandel erfahren. Rogg, der an der Potsdamer Universität lehrt und in der Stadt auch als Herausgeber der Potsdamer „Geh-Schichten“ bekannt geworden ist, kann als Soldat und Wissenschaftler heute durchaus aufzeigen, wie subtil und mächtig Filme die Vorstellung vom Krieg beeinflussen. „Haben Sie gestern Fernsehnachrichten geschaut?“, fragte er in die Runde von knapp zwanzig Hörern der Sonntagsvorlesung. Krieg und Militär seien auf allen Kanälen ständig präsent. Rogg stellte die Frage, was ein Film über die Deutung und Legitimation des Krieges aussagen kann und forderte zu einer Zeitreise auf.

Beliebte Kriegs- und Propagandafilme gab es bereits Anfang des 20. Jahrhunderts. In Großbritannien erzielte der Film „Battle of the Somme“ sogar gemessen an heute üblichen Publikumszahlen einen sensationellen Erfolg. Über 20 Millionen Briten sahen die Bilder über die Schlachten in den Gräben des Ersten Weltkriegs. Die außerordentliche Beliebtheit solcher Bilder führte Rogg auf den „CNN-Faktor“ zurück: Der Zuschauer fühlte ein „unmittelbares Dabeisein mit den Geschehnissen.“ Der Tod im Krieg, individuelles Leiden, die Zerbrechlichkeit der Psyche, würden in diesen meist nachgespielten Filmen jedoch immer ausgeblendet werden. Der Tod habe aus nationalen Gründen hier „leise, sauber und heroisch“ zu wirken.

Das änderte sich mit der amerikanischen Verfilmung des Bestsellers „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque. Das Buch war nach anfänglichen Schwierigkeiten des Autors einen Verlag zu finden 1929 erschienen und wurde bereits innerhalb des ersten Jahres über eine Million Mal verkauft. Remarques Bericht eigener Erfahrungen, der den Krieg als sinnlose Urkatastrophe darstellte, fand jedoch nicht nur Bewunderer. Die Nationalkonservative attackierte vehement die „ungeheuerliche Beleidigung“ des deutschen Heeres. Der Roman wurde gar als öffentliche Gefahr betrachtet.

In diesem Konflikt, so Rogg, witterte der deutschstämmige amerikanische Hollywood-Mogul Carl Laemmle den Stoff für einen frühen „Blockbuster“. Er gewann Lewis Milestone für die Regie („Meuterei auf der Bounty“) und ließ ein 40 Morgen großes Gelände zur realistisch wirkenden Schützengrabenlandschaft umgestalten. Ehemalige deutsche Offiziere schulten die Darsteller in deutschem Drill. „All Quiet on the Western Front“, wie der Originaltitel lautete, kam 1929 in die Kinos und gewann zwei Oskars. Er setzte mit seinen innovativen Schnitt- und Kameratechniken noch heute geltende Standards.

Rogg spielte einen Ausschnitt aus der berühmten „Maschinengewehrszene“ vor. Eine extrem rhythmische Schnittfolge lässt das Gesicht eines Soldaten am feuernden Maschinengewehr mit den anstürmenden Soldaten in schnellem Takt abwechseln. Milestone habe die zentrale Veränderung des Kriegsbildes, die Remarques Roman bereits bewirkt hatte, erkannt und in Bildern umgesetzt. Nicht nur in der Weimarer Republik lösten dieser unbekannte Realismus Entrüstung aus. Nirgendwo auf der Welt durfte der Film unzensiert gezeigt werden. In Deutschland organisierten die Nazis Störaktionen. Der Film wurde zunächst verboten, und durfte später nur noch unter strengen Auflagen gezeigt werden.

Rogg gab seinem Publikum den Wunsch mit auf den Weg, es möge die Weltnachrichten nun mit einer geschärften Wahrnehmung für ihre Fiktionalität betrachten. „Schauen Sie genau hin!“ Die Macher der Nachrichten aus den Kriegsgebieten hätten viele ihrer Techniken von Lewis Milestones großem Antikriegsfilm entlehnt. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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