Sport: Der Turbo
Kevin Kuske aus Potsdam will auf der Bobbahn in Cesana zwei Olympiamedaillen – am liebsten Gold
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Gestern Nachmittag war er wieder auf der Auto- statt der Bobbahn unterwegs, kehrte er vom letzten Anschubtraining in Oberhof nach Potsdam zurück. Kevin Kuske kennt den Weg zwischen seiner Heimatstadt und seinem sportlichen Domizil in- und auswendig. Seit Jahren schon pendelt der Modellathlet per Auto zwischen Potsdam und Oberhof, und der Erfolg rechtfertigt diesen Aufwand allemal: Kuske bringt seinen Suhler Piloten André Lange vom BSR Rennsteig Oberhof für die Fuhren durch die Eiskanäle der Welt meisterlich in Schwung. In der kommenden Woche soll der nächste große Erfolg her, wenn Lange/Kuske die Olympiabahn in Cesana hinunter donnern. Eine Woche später fahren die beiden dann gemeinsam mit René Hoppe aus Weida und Martin Putze aus Bad Sulza auch im Vierer um olympisches Edelmetall.
„Wenn man in den vergangenen Jahren so erfolgreich war wie wir, will man jetzt nicht nur Zweiter oder Dritter werden“, gesteht Kevin Kuske, und: „Meine Ansprüche sind sehr gestiegen.“ Immerhin wurde der jetzt 27-Jährige als Langes Anschieber bereits 2002 Olympiasieger im Vierer, anschließend 2003 Doppel-Weltmeister und auch in den beiden folgenden Jahren jeweils Weltchampion im großen Schlitten. Nachdem Lange mit seinen Besatzungen im vergangenen November bei den ersten Weltcup- Rennen der Olympiasaison in Calgary und Lake Placid mit drei Siegen und einem zweiten Rang überzeugt hatte, waren seine beiden Oberhofer Schlitten schon für Turin 2006 qualifiziert. „Das kam uns natürlich sehr entgegen, weil wir uns dadurch im weiteren Training mehr als früher auf den athletischen Aspekt konzentrieren konnten“, erzählte Kuske, der dafür seit Sommer 2004 in Potsdam einen sehr erfahrenen Mann an seiner Seite hat: Carsten Embach. „Emmi“, ebenfalls mehrfacher Weltmeister, schob 2002 in Salt Lake City den Lange-Vierer mit zu Olympia-Gold und ist nun als Athletik-Trainer des Bob- und Schlittenverbandes Deutschlands (BSD) für eine ganze Reihe Potsdamer Anschieber zuständig. Aus deren Reihen erkämpften sich Ende Januar auch Alexander Metzger mit dem Vierer des Riesaers René Spies und Andreas Barucha als Ersatzmann das Turin-Ticket.
Kevin Kuske – 1,95 Meter groß, 115 Kilo schwer und nie um einen lockeren Spruch verlegen – ist der Häuptling dieser Trainingsgruppe. Und nicht nur das – der Potsdamer gilt derzeit als weltweit bester Turbo im Bobsport. Embach sagt dazu: „Es ist eigentlich ein Phänomen, aber Kevin sprintet trotz seiner Statur und seines Körpergewichts super und erreicht dabei eine enorme Beschleunigung. Außerdem hat er im Verlaufe der Jahre gelernt, seine Kraft direkt auf den Bob zu übertragen. Das heißt, er kann den Schlitten mit jedem Schritt beschleunigen, kann seine Kraft optimal aufs Gerät bringen, wozu neben Erfahrung auch viel Feeling notwendig ist. Das macht ihn zu einer Ausnahmeerscheinung unter den Anschiebern.“
Einst hoffte Kuske, zu einem Ausnahme-Leichtathleten zu reifen; schließlich war seine Mutter Roswitha in den 70er Jahren selbst eine ausgezeichnete Hürdenläuferin des damaligen ASK Vorwärts Potsdam. Als Sprinter des SC Potsdam wurde Kevin 1998 im südfranzösischen Annecy Junioren-WM-Dritter mit der deutschen Viermal-100-Meter-Staffel, ehe er verletzungsbedingt die Spikes an den Nagel hängen musste. Doch nicht lange, denn schon bald führte ihn der Weg zu den Bobsportlern nach Oberhof, wo er seitdem seine enormen Kräfte in die Dienste André Langes stellt.
Seit gestern Abend trainiert der Potsdamer seine Muskeln noch einmal im heimischen Luftschiffhafen „hart, aber mit Köpfchen“, wie er selbst sagt, ehe er am Sonntag nach Turin fliegen wird. Dass er deshalb die Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele nicht hautnah, sondern nur vorm Fernseher miterleben kann, stört ihn nicht. „Im Gegenteil, ich mache lieber die Abschlussfeier mit – das hat uns schließlich vor vier Jahren Glück gebracht“, glaubt der Sportsoldat, der seine kürzlich erlittene leichte Hacken- Verletzung nach eigener Auskunft völlig auskuriert hat. „Ich bin wieder topfit“, verspricht Kevin Kuske, der auch nicht gram darüber ist, dass Deutschlands Bob-Team nicht im Olympischen Dorf, sondern in einem vom BSD extra gemieteten Haus dichter an der Bobbahn wohnen wird. „Das kommt mir sogar sehr entgegen. Vor vier Jahren hat es einen ein bisschen unter Druck gesetzt, ständig die anderen Sportler mit ihren schon gewonnenen Medaillen zu erleben. Ich werde jetzt an den ersten Tagen auch mal ins Dorf gehen. Ansonsten aber haben wir unsere Ruhe. Ich will mich ganz aufs Sportliche konzentrieren, das andere kenne ich alles schon von 2002.“
Auch die Olympiabahn „Eugenio Monti“ am Ortsausgang von Cesana ist Kuske bereits vertraut; im vergangenen Jahr trainierte die Lange-Crew dort schon. „Wir waren damals sehr zufrieden“, erinnert sich der Potsdamer und erklärt die Eisrinne so: „Das ist eine sehr schnelle Bahn, die in der Mitte sehr zügig wird. Aber auch eine entspannende, deren Kurven nicht so viel Druck aufbauen und die auch nicht so weh tut. Allerdings wird André in ihr mehr lenken müssen, als es auf manch anderer notwendig ist.“ Was ihm aber keine Sorgen machen dürfte; schließlich zählt Lange seit Jahren zu den besten Männern an den Lenkseilen. An denen übrigens Kuske noch nie saß. „Ich habe noch nie einen Bob gesteuert und will das auch gar nicht. Jeder soll sich auf die Aufgabe konzentrieren, die er zu erfüllen hat“, meint er.
Läuft alles nach Plan, wird das Kraftpaket nach den Tagen in Turin weiteres Edelmetall neben die bisherigen Medaillen und Pokalen im Trophäenkeller seiner Mutter platzieren können. Seine Familie wird die Zweier-Entscheidung gemeinsam mit Freunden und einem Fanclub in einem Potsdamer Hotel verfolgen und bei den Fahrten des Vierers selbst an der Olympia-Anlage stehen. Der Anschieber selbst will noch vier Jahre mit Lange die Bobbahnen der Welt hinab rasen. „Bis zu den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver wollen wir noch vorn mitmischen“, verkündet Kevin Kuske. Er wird also noch oft zwischen Potsdam und Oberhof pendeln.
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