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1984 erhielt er Deutschlands erste Mail. 1987 holte Werner Zorn, der heute am HPI lehrt, China ins Netz
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Diese Mail war noch ein Ereignis: Am 2. August 1984 saß Werner Zorn vor seinem Computer in der Rechner-Abteilung der Uni Karlsruhe. Unter der schnörkellosen Adresse „zorn@germany“ empfing er zur Mittagszeit den Willkommensgruß aus dem US-amerikanischen Wissenschaftsnetz CSNET: „We are glad to have you aboard“. Internetgeschichtlich herrschte die „Vordomänenzeit“, deshalb fehlte an Zorns Mailadresse auch das heute übliche „de“. Damals hatte ein „kleiner Rechner“ die Ausmaße eines Wandschranks: anderthalb Meter hoch und einen halben Meter tief.
„Dass das so ein Hype werden würde, hat niemand prognostizieren können.“ Mehr als 20 Jahre später sitzt Zorn, heute Professor am Hasso-Plattner-Institut (HPI), in seinem Büro am Griebnitzsee. Der 64-Jährige bringt seinen Studenten bei, was aus gescheiterten IT-Projekten zu lernen ist und philosophiert über den „unscharfen Gebrauch von Grundbegriffen in der Informatik“. Regelrecht bescheiden nimmt sich das bei einem Blick auf seinen Lebenslauf aus. Schließlich gehört Zorn zu den Internet-Pionieren in diesem Land. 1989 legte er die erste deutsche Standleitung ans US-amerikanische Netz. Ein Drittel des deutschen Internets geht nach seinen Worten auf den 1991 von ihm gegründeten Internet-Service-Provider „XLink“ zurück.
Wissen seine Potsdamer Studenten überhaupt, wer vor ihnen steht? „Nee, das wissen nicht alle“, lacht der gelernte Nachrichtentechniker und klingt dabei nicht so, als würde ihm etwas daran liegen. Der Schritt nach Potsdam im Jahr 2001 war für ihn ein „cut“: „Ich habe mich aus der Netzszene als handelnde Figur verabschiedet.“ Seit seiner Zeit im „operativen Geschäft“ hat sich allerdings auch einiges geändert: „Die reale Welt ist im Internet angekommen.“ Das wurde Werner Zorn spätestens auf dem Weltinformationsgipfel in Tunis im Herbst 2005 klar. Dort fand sich der gebürtige Frankfurter zwischen 17000 Delegierten aus 175 Ländern wieder, „Mullahs und Diktatoren“ eingeschlossen. „Jetzt ist das ganz normale Leben drin, mit allen Verbrechern, Gut und Böse“, glaubt der Informatiker.
Denn das Internet war lange Zeit keine bloße Technologie für jedermann und jeden Zweck, sondern „eine Bewegung“, erinnert sich Zorn. Getragen wurde sie bis Anfang der Neunziger Jahre noch von Enthusiasten wie ihm selbst: „Wissenschaftler und Gutmenschen, die sich an ethische Grundsätze gehalten haben“, urteilt er.
Bei einer zweiten Mail-Premiere hatte Zorn seine Finger wieder im Spiel: Diesmal ging es um China. In nächtelanger Bastelei stellte er mit seinen Kollegen im September 1987 über Telefon eine Verbindung von der Technischen Uni Peking an die Rechner in Karlsruhe her. Es war ein „Wettlauf um Stunden“, schätzt er die Lage heute ein. Denn wäre das von der Weltbank unterstützte Projekt damals gescheitert, hätten Jahre vergehen können, bis sich eine ähnlich „positive Stimmung“ ergeben hätte. Nach dem Studentenaufstand 1989 und dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens herrschte wieder „Frost“ gegenüber dem kommunistischen Land. „Ich hing mit Haut und Haaren in der Sache drin“, erinnert sich Zorn. Den fesselnden Bericht, den er über die China-Aktion schrieb, veröffentlichte er 1988 in einer Informatik-Fachzeitschrift und rief damit pikierte Leser auf den Plan. Die wollten von „so viel unwichtigen Einzelheiten“ nichts lesen.
Kontakte nach China pflegt der Informatiker übrigens bis heute. Den „harten Kern der Netzleute“ zählt er immer noch zu seinen „guten Freunden“. Selbst sein privates Glück verdankt er dem Netz: Denn die Chinesin, die Zorn im Jahr 2000 heiratete, hatte er 13 Jahre vorher in Peking kennen gelernt.
Doch auch die Feinde von damals hat Professor Zorn nicht vergessen: Jahrzehntelang wetterte er gegen die seiner Meinung nach „verfehlte Förderpolitik“ des Bundes. Der habe das Internet wie „Unkraut bekämpft“, und stattdessen Milliarden in die weltweite Standardisierung gesteckt. Dieses „Monopoldenken“ sei das genaue Gegenteil vom Internet. „Ich bin nach wie vor voller Ingrimm“, schimpft Zorn.
Aber die Welt hat sich weiter gedreht. Im Juli 2006 bekam Zorn für sein Internet-Engagement das Bundesverdienstkreuz verliehen. Dass es eine Zeit ohne E-Mails gab, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Es wird mehr Plattformen im Netz geben, auf denen sich Gleichgesinnte treffen können, prophezeit Zorn einerseits. Aber auch das: „Es werden immer mehr Maschinen miteinander reden.“ Das Internet sei „noch lange nicht zu Ende“.
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