
© FHP/Jonathan Bachmann
Homepage: Der Wunsch nach Ruhe
Designer und Sozialarbeiter der FH Potsdam haben nach Ideen gesucht, um das Leben im Alter zu erleichtern
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Der Stuhl sei eine Katastrophe gewesen, sagt die Studentin. Der Ruhestuhl, den Anna Stegmann, Design-Studentin der Fachhochschule Potsdam, in einem Potsdamer Altenpflegeheim vorfand, sei unbequem und schwer zu verstellen gewesen. Damit aber nicht genug: Es sei auch schon vorgekommen, dass Heimbewohner mit dem gesamten Stuhl nach hinten umgekippt sind. Zusammen mit ihren beiden Kommilitoninnen Jennifer Gschwindt und Claudia Wagner und einer Potsdamer Firma hat die Studentin des Fachs Produktdesign nun einen Entwurf für einen nutzergerechten Ruhestuhl für Pflegebedürftige entwickelt: Große, weiche „Ohren“, fester Stand, hygienisch, mit Aufstehhilfe und elektrisch verstellbarer Lehne.
15 studentische Teams mit insgesamt 42 Studierenden der Fachhochschule haben in stationären und teilstationären Einrichtungen des Landesausschusses für Innere Mission (LAFIM) in den vergangenen Wochen untersucht, wie sich Selbständigkeit und Autonomie im Alter verbessern lassen. Ihre Arbeit geht auf ein gemeinsames Projekt der FH Potsdam mit dem kirchlichen Sozialträger zum Leben im Alter zurück. Das Vorhaben, das als interdisziplinäre Aufgabe von Sozialer Arbeit und Design ausgelegt war, wurde von dem Designtheoretiker Rainer Funke und dem Sozial- und Gesundheitspädagogen Martin Stummbaum (beide FH Potsdam) angeleitet. Die Studierenden setzten sich unter anderem mit der Gestaltung von Orientierungssystemen speziell für Menschen mit Demenz auseinander, sie entwickelten Konzepte für Kommunikationsmittel zur Motivation und Stärkung der individuellen Autonomie und sie ersannen Ideen für spezielle Möbel, die das Leben im Alter erleichtern sollen.
Für FH-Designer Rainer Funke geht es beim Thema Alter um eine „Korrektur der Perspektiven“. Da die Wahrnehmung der Menschen sich in den verschiedenen Lebensphasen ändere, sollten sich gerade auch Gestalter auf diese Perspektivwechsel einstellen. Zum Beispiel wisse die Forschung heute, dass der Wunsch, möglichst intensiv zu leben, im höheren Alter nachlasse. An seine Stelle trete der Wunsch nach Kontemplation, Ruhe und der Möglichkeit, sich in seinen Erinnerungen einzurichten sowie darüber zu kommunizieren. Von diesen neuen Bedürfnissen müssten Sozialarbeiter wie auch Designer in ihrer Arbeit ausgehen, zumal durch den demografischen Wandel der Anteil der alten Menschen an der Bevölkerung steigt.
Ein anderes Thema, auf das das FH-Projekt verstärkt eingeht, ist das Leben mit Demenz. Der von verschiedenen Erkrankungen verursachte Erinnerungs- und Orientierungsverlust hat eklatante Auswirkungen auf die Lebensqualität. Um herauszufinden, wie man den Betroffenen helfen kann, haben die FH-Teams konkrete Versuche in Pflegeheimen unternommen. Dabei kam unter anderem heraus, dass über Tasten und Berühren auch bei offensichtlich von der Außenwelt abgeschnittenen Menschen noch positive Reaktionen hervorzurufen sind. „Eine gute Stimulation von hochdementen Menschen ist möglich“, so Funke. Weil zu beobachten ist, dass die Betroffenen die Welt vor allem mit ihren Händen begreifen, hat ein FH-Team ein auswechselbares Material-Modul für Tischplatten entwickelt. Je nach Befinden der Personen können hier individuelle Kombinationen aus ertastbaren Materialien zusammengestellt werden. „Die zentrale Anordnung des Materials kann ein spielerisches Gemeinschaftsgefühl hervorbringen“, so das FH-Team.
Zur besseren Orientierung in Heimen gibt es Vorschläge zu Lichtinstallationen. Denkbar wäre auch, das Bad bereits von außen als Bad erkennbar zu machen – etwa mit Kacheln, Handtuch etc. an der Außenwand. So könnten sich die Demenzkranken besser orientieren. Die Ideen, die nun in einer Publikation der FH gesammelt erschienen sind, befinden sich noch im Stadium von Hypothesen. Nun gelte es, Hersteller als Partner zu gewinnen, so Funke.
Sein FH-Kollege Martin Stummbaum findet vor allem die Idee einer „Flurveranda“ überzeugend. Sozusagen vor dem eigenen Raum im Pflegeheim befindet sich ein halböffentlicher Raum, der sich wie eine Veranda zum Flur öffnet. Vorteil davon: Die Bewohner sind dort nicht völlig in ihrer Privatheit verschwunden, gleichzeitig aber in einem geschützten Raum, in den sie nicht jeden hineinlassen müssen. Wer also am öffentlichen Leben teilnehmen möchte, ohne sich gänzlich in die Außenwelt zu begeben, setzt sich einfach auf seine „Veranda“ und schaut dem Treiben im Flur zu.
Die Exkursionen in die Pflegeheime waren nach Ansicht der Studentin Anna Stegmann ein sehr wichtiger Teil der Projektarbeit gewesen. Hier erfuhren die angehenden Designer und Sozialarbeiter, was den Menschen in stationären Einrichtungen wichtig ist. Interessant dürfte schließlich werden, wie die Entwicklungen und Ideen vor Ort angenommen werden. So wird die Studentin Jenny Oeser in der kommenden Woche in einem Potsdamer Pflegeheim ihre speziell für Demenz-Patienten entwickelten Piktogramme testen. Da demente Menschen immer wieder Schränke und Schubladen nach ihren Dingen durchsuchen, soll eine Kennzeichnung mit Piktogramm ihnen dabei helfen, ein Ordnungssystem in die zunehmend chaotisch erscheinende Umwelt zu bringen. Jenny Oeser ist nun äußerst gespannt, ob ihre Zeichen erkannt und angenommen werden.
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