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Freileitungen: Der zerteilte Himmel über Marquardt

In Marquardt kritisieren die Anwohner den Neubau einer Starkstrom-Freileitung. Im Planfeststellungsverfahren brachten sie ihre Einwände vor, am 27. September werden sie diskutiert - mit dem Bergbauamt.

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Marquardt - Das war knapp. Gerhard Juschka zeigt auf den Rasen in seinem Garten. „Hier haben wir gesessen“, sagt der Marquardter. Von einer Sekunde zur anderen wurde die Situation damals lebensbedrohlich. „Erstmal hat's geknallt, dann hat's geknistert und geschmaucht.“ Über sich habe er Funken gesehen an jenem 21. August 2005. Der Grund: Ein Leiterseil der Hochspannungsleitung, die über Juschkas Grundstück führt, begann zu reißen. Das Unheil habe sich beim Sonntagskaffee ereignet. Doch der finale Schlag blieb aus. Die Hochspannungsleitung riss nicht komplett durch. „Ein Glück für uns“, sagt Juschka. „Dann hing sie da oben an Fäden“, erinnert sich der Marquardter, der mit seinen 76 Jahren genauso alt ist wie die Leitung. Fluchtartig habe er damals den Sitzplatz im Garten verlassen. Noch schneller war nur der Hund. „Sobald das anfing zu knallen, war der Hund weg.“

Wenn es nach Juschka geht, soll nun auch die Leitung weg. Raus aus seinem Garten. Die jetzige Trasse quer über die Dächer von Marquardt sei nicht mehr zeitgemäß. Juschkas Wunsch nach einem freien Himmel könnte sich sogar erfüllen. Der Energiekonzern Eon Edis will die Stromkabel nicht länger mitten durch den Ort führen. An den Ortsrand möchte er die Freileitung verbannen. Das jedoch reicht Juschka nicht. Im Planfeststellungsverfahren für den sogenannten Ersatzneubau der 110-kV-Freileitung zwischen Wustermark und Geltow habe er Einwendungen gegen die Pläne des Stromkonzerns erhoben. Der Marquardter wünscht sich eine verträglichere Lösung für seinen Ort. Den Erörterungstermin, den das Landesbergbauamt im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens für den 27. September anberaumt hat, will sich Juschka nicht entgehen lassen.

Mit den Plänen von Eon Edis würden die Probleme nur auf andere Grundstücke verlagert, sagt Elvira Starbati, deren Garten ebenfalls in der jetzigen Stromtrasse liegt. Die Marquardterin denkt dabei besonders an die Familie Roggenbuck, die im Ort eine Pension betreibt. Ein paar Meter hinter ihrer Fremdenherberge soll die Freileitung künftig verlaufen. Pensionsbetreiber Peter Roggenbuck ist stinksauer, soll doch ein Großteil seines Grundstücks mit Kabeln überspannt werden. Ende letzten Jahres erhielt er Post von der Firma LTB Leitungsbau, die für den Stromkonzern den Ersatzneubau organisieren soll. Die Trasse über sein Grundstück werde „jetzt die neue gewünschte Ortsumgehung“, hieß es in dem Schreiben. Kein Wort davon, dass zunächst noch das Planfeststellungsverfahren abzuwarten sein würde, bevor die Bautrupps loslegen könnten. Stattdessen wurde Roggenbuck sogleich eine unterschriftsreife Entschädigungsvereinbarung vorgelegt. 16 000 Euro wäre Eon Edis Roggenbucks Unterschrift wert. Eine Unterschrift, die der Marquardter bislang verweigert.

Doch ein sprichwörtlicher Verweigerer wolle er nicht sein. Ja, die Leitungen würden benötigt. Aber für Marquardt gebe es bessere Lösungen. So könnte doch die Bahnstromtrasse – die zwischen den Bahngleisen und der B 273 über eine Apfelplantage führt – auch für die Freileitung von Eon Edis genutzt werden. Die Stadt Potsdam hatte sich im Mai 2011 in einem Schreiben an das Landesbergbauamt ebenfalls für eine Leitungsführung über die Apfelplantage ausgesprochen. Jüngst ließ Potsdams Baubeigeordneter Matthias Klipp (Bündnisgrüne) allerdings mitteilen, im vergangenen März habe die Verwaltung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens für eine unterirdische Verkabelung plädiert. Bei dieser Variante könne die Stadt sogar den von Eon Edis gewünschten Trassenverlauf am Ortsrand akzeptieren. Sollte ein solches Erdkabel nicht möglich sein, käme wieder die Variante „Apfelplantage“ ins Spiel.

Erst am 5. September habe es „ein Gespräch auf Arbeitsebene“ mit Eon Edis gegeben, so Klipp. Doch der Konzern wolle „sich erst nach Abschluss des noch laufenden Planfeststellungsverfahrens über Alternativtrassen und Kosten äußern“. Horst Jordan, Sprecher von Eon Edis, wollte auf PNN-Anfrage keine Stellungnahme hierzu abgeben. Sein Unternehmen konzentriere sich derzeit auf das laufende Planfeststellungsverfahren. Noch vor Monaten hatte sich der Stromkonzern öffentlich verhandlungsbereit gezeigt. Wenn die Stadt eine weiträumige Umgehung von Marquardt wünsche, diese Variante rechtlich aber nicht erforderlich sei, dann müsse sich die Stadt an den Kosten beteiligen, ließ Sprecher Jordan damals wissen. Dies lehnte die Stadt ab. Es könne nicht verlangt werden, „die notwendige Zukunftsfähigkeit der Leitungsinfrastruktur ganz oder in Teilen aus Steuermitteln zu finanzieren“, hieß es. Nunmehr hat in der Stadt offenbar ein Umdenken eingesetzt: Die Stadt wolle jetzt prüfen, „ob eine finanzielle Beteiligung“ an etwaigen Mehrkosten möglich sei, so Klipp. Wegen der Weigerung von Eon Edis, konkrete Zahlen auf den Tisch zu legen, komme man da aber leider momentan nicht weiter.

Bis die neuen Kabel – über oder unter der Erde – gezogen sind, werden die Bäume im Garten von Anwohnerin Starbati weiterhin nicht frei wachsen dürfen. Alle zwei bis drei Jahre kämen Arbeiter, um die Äste unter den Kabeln wegzuschneiden. In den 1990er Jahren habe es ihre mittlerweile verstorbene Mutter sogar einmal im Nussbaum knistern hören. Der Abstand zwischen Leitung und Geäst war schon zu gering geworden. Aber die 70-Jährige zeigt sich zuversichtlich: „Meine Hoffnung ist, dass der Himmel über uns vielleicht doch noch frei wird.“

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