
© Probe zur Oper „Doktor Schiwago“ am Theater Regensburg; Armin Weigel/dpa
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100 Jahre Oktoberrevolution: Historiker Martin Sabrow eröffnete die diesjährigen Potsdamer Gespräche
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Die Bolschewisten sahen sich als die Lokomotive der Weltgeschichte. Und sie meinten, allen anderen voraus zu sein. Zu diesem Schluss kommt der Co-Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF), Martin Sabrow, bei der Betrachtung der Oktoberrevolution vor 100 Jahren. Das „Konzept der revolutionären Avantgarde“ habe Weltgeschichte geschrieben. Nur aufgrund des für die Revolution 1917 von den Bolschewiki zusammengefügten Konzeptes hätten sich die Kommunisten im folgenden Bürgerkrieg und dann auch in der Wiederaufbauphase in Russland behaupten können.
Der Zeithistoriker Martin Sabrow eröffnete mit seiner Einschätzung zur Oktoberrevolution die diesjährigen Potsdamer Gespräche, die sich 2017 mit historischen Zäsuren im Film befassen: Reformation, Revolution und Krieg. Zum Auftakt der Reihe wurde der Klassiker des Monumentalkinos „Doktor Schiwago“ gezeigt. Heute wirkt die Filmsprache des Epos ein wenig betulich. Aber die tragische Geschichte des 1965 verfilmten Romans hat nichts von ihrer emotionalen Wucht eingebüßt.
Die russische Revolution von 1917 ist der Ausgangspunkt des dreistündigen Epos. Am Beispiel eines Arztes schildert der Regisseur, basierend auf dem gleichnamigen Buch von Boris Pasternak, wie die gutbürgerliche Welt der vorrevolutionären Zeit zerbricht. Familien und Liebschaften werden dabei tragisch auseinander gerissen, womit der Film nicht gerade ein Plädoyer für revolutionäre Umstürze ist.
Historiker Sabrow analysierte indessen die Hintergründe. Die Bolschewiki hätten sich in Besitz der historischen Wahrheit geglaubt, so Sabrow. „Sie dachten, diese sei zudem durch den Marxismus-Leninismus wissenschaftlich begründet.“ Damit grenzten sie sich scharf ab von sozialdemokratisch ausgerichteten Kräften und bürgerlichen Herrschaftsansätzen. Diese artikulierten sich in der Duma, der provisorischen Regierung. Für sich nahmen die Kommunisten eine schrankenlose Selbstermächtigung in Anspruch, die keiner demokratischen Wahlen bedurfte. Denn die Bolschewiki hätten sich für die Inkarnation der Massen und des artikulierten Willens des Volkes gehalten, konstatierte Sabrow.
Dabei hätte die avantgardistischen Revolutionäre wenig gekümmert, dass ein entsprechendes revolutionäres Subjekt in Russland eigentlich gar nicht existierte. Denn eine ausgebildete Arbeiterklasse, die sich ihrer selbst und der Problematik ihrer Ausbeutung bewusst gewesen sei, habe es mangels Masse in Russland gar nicht gegeben. Zur Zeit der Revolution war Russland noch vorwiegend ein Agrarstaat. Was die Bolschewiki aber nicht weiter gestört habe. Denn die Berufsrevolutionäre seien der Ansicht gewesen, dass sie in der Lage sind, die offenkundigen Klassengegensätze zu erkennen und sie entsprechend propagandistisch im vorwiegend bäuerlichen Volk zu artikulieren.
Dafür fand Regisseur David Lean ein einprägsames Bild, das aus der Historie abgeleitet ist: Der Zug des kommunistischen Heerführers, der rot beflaggt durch vom Bürgerkrieg verwüstete Landschaften rauscht. Leo Trotzki war es, der als oberster Feldherr den Bolschewiki im blutigen Bürgerkrieg zum Sieg verhalf. In einem Privatzug raste er von Gefecht zu Gefecht. Im Film brütet er über Plänen und ist zu keiner emotionalen Regung mehr fähig, ganz Revolutionsstratege geworden. Was sicher nicht der historischen Figur entsprach.
Aber nicht erst die Bolschewisten hielten ihre Wahrheiten für der Weisheit letzten Schluss. Sabrow erinnert daran, dass schon während der französischen Revolution die Herrschaft der Jakobiner recht blutig ausfiel. Auch sie meinten um des historisch gewollten Fortschritts willen, die Köpfe rollen lassen zu können.
Der Fokus der Veranstaltungsreihe im Filmmuseum (jeweils 18 Uhr) liegt auf neueren kriegerischen Erschütterungen und Auseinandersetzungen: Die „Grenzanlagen inmitten der Potsdam-Berliner Parklandschaft“ sind das Thema einer Diskussion und werden von einem Film mit dem sinnigen Titel: „Gärtner führen keinen Kriege“ begleitet (12. September). Über den Angriff auf die amerikanische Flotte in Pearl Harbour aus japanischer Perspektive unterhalten sich der stellvertretende Direktor des Einstein Forums, Martin Schaad, und der Historiker Takuma Melber (20. Juni). Die historischen Umbrüche des Jahres 1917 besprechen der Historiker Oberstleutnant Harald Potempa und die Sozialwissenschaftlerin Katrin Hentschel vom Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (21. November). Der israelische 6-Tage-Krieg und seine Wahrnehmung in der DDR werden am 12. Dezember thematisiert.
Nicht zufällig kreist die Veranstaltungsreihe um das historische Jahr 1917. Denn mit dem Kriegseintritt der USA gegen Österreich-Ungarn nahmen diese seinerzeit eine Abkehr von ihrer bisherigen Politik vor. Bis dahin konzentrierten sich die USA auf ihren eigenen Kontinent. Nun aber begannen sich die Vereinigten Staaten auf ihre Rolle als „Weltpolizist“ vorzubereiten. Auf der anderen Seite legte die Machtergreifung der Bolschewiki den Grundstein für die dann fast ein Jahrhundert andauernde martialische Konkurrenz der Gesellschaftssysteme. Erst das Ende des Kalten Krieges sollte die so entstehenden Fronten auflösen.
Richard Rabensaat
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