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Flüchtlinge im alten Landtag in Potsdam: Deutschkurs im Plenarsaal

Die ersten Flüchtlinge ziehen heute in Potsdams alten Landtag - und auch im kommenden Jahr sollen dort mehr Flüchtlinge unterkommen. Der "Kreml" wird bald das größte Asylbewerberheim der Stadt sein.

Von Katharina Wiechers

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Potsdam - Am heutigen Dienstag ziehen die ersten 72 Flüchtlinge in den ehemaligen Landtag auf dem Brauhausberg. Erwartet würden vier Familien aus Syrien, zwei aus Afghanistan und jeweils eine Familie aus dem Irak, dem Iran und aus Tschetschenien, wie Potsdams Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger (parteilos) am Montag sagte. Sie waren bislang in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Eisenhüttenstadt untergebracht. Bis Jahresende sollen zunächst keine weiteren Flüchtlinge einziehen, eine weitere Belegung ist erst für das kommende Jahr geplant. In einigen Wochen sollen bis zu 450 Menschen im alten Landtag leben.

Ziel sei es, das Haus weiterhin vor allem mit Familien zu belegen, sagte Müller-Preinesberger. Schließlich sei das Gebäude komfortabler als zum Beispiel eine Leichtbauhalle. Mit 450 Bewohnern wird das ehemalige Parlamentsgebäude, das wegen der einstigen Nutzung durch die SED auch „Kreml“ genannt wird, die größte Flüchtlingseinrichtung der Stadt. Mehr Menschen wohnen nur in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Heinrich-Mann-Allee, die aber vom Land betrieben wird und in der die Menschen oft nur wenige Wochen leben.

Eigentlich sei es das Ziel der Stadt, die Menschen möglichst dezentral und kleinteilig unterzubringen, räumte Müller-Preinesberger ein. Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen sei man aber nicht mehr hinterhergekommen. „Ich denke aber, das Gebäude ist groß und sehr zentral gelegen. Das ist verkraftbar.“

Pro Familie ein Zimmer

Die ersten Neu-Potsdamer werden zunächst in ehemaligen Büros im Erdgeschoss unterkommen. Bis zum Auszug des Landtags vor zwei Jahren haben dort unter anderem die Mitglieder der Landtagsverwaltung gearbeitet. Jetzt stehen dort mehrere Betten, Metallspinde und ein Tisch, später sollen Kühlschränke folgen. Jede Familie soll ein eigenes Zimmer haben. Pro Person sind sechs Quadratmeter vorgeschrieben.

Weil noch nicht alle Arbeiten abgeschlossen sind, gibt es vorerst nur eine Freigabe durch die Bauaufsicht für 90 Menschen – weitere Gebäudebereiche müssen erst ertüchtigt werden. Zum Beispiel müssten Rauchmelder angebracht, die Elektrik geprüft und kleinere Sanierungsarbeiten durchgeführt werden, sagte Sozialamtschef Frank Thomann, der die Flüchtlingsunterbringung in der Stadt koordiniert. Dazu gehören zum Beispiel hüfthohe Verschalungen der Fenster in den Schlafräumen. Weil die Simse extrem niedrig sind, könnte sonst die Gefahr bestehen, dass Kinder aus dem Fenster stürzen. Auch die verschnörkelten Eisen-Treppengeländer werden teilweise mit Spanplatten vernagelt, um die Verletzungsgefahr zu vermindern.

Weitere Flüchtlinge ziehen 2016 in den "Kreml" 

Weitere Menschen ziehen also erst im nächsten Jahr in das Gebäude ein. Dies sei aber auch angesichts der bevorstehenden Weihnachtsfeiertage sinnvoll, so Müller-Preinesberger. Schließlich müssten die Flüchtlinge noch einige Ämterbesuche machen, wenn sie in Potsdam ankämen. Da die Verwaltung aber über die Feiertage nicht besetzt sei, sei es nicht sinnvoll, in der Zeit Menschen neu in der Stadt einzuquartieren.

Im Februar oder März kommenden Jahres sollen dann auch die sanitären Einrichtungen fertig sein. Bislang gibt es im Gebäude nur Toiletten, zum Duschen müssen die Bewohner zunächst in Container auf dem Hof gehen. Falls die Kapazitäten nicht reichten, gäbe es die Möglichkeit, die Duschen im Bad am Brauhausberg zu nutzen, so Thomann.

Plenarsaal soll Gemeinschaftsraum werden

In einigen Wochen soll auch die einstige Landtagskantine zur Gemeinschaftsküche mit mehreren Kochgelegenheiten umgebaut sein. So lange werden die Bewohner von einem Caterer versorgt. Dies sei nur eine Zwischenlösung, sagte Müller-Preinesberger. „Zu einem selbstbestimmten Leben gehört es auch, dass man entscheiden kann, was man isst und wann.“ Der Plenarsaal wiederum soll zum Gemeinschaftsraum werden, dort könnten zum Beispiel Deutschkurse stattfinden – auch für Bewohner anderer Einrichtungen in Potsdam, so Thomann.

Erst im Frühsommer hatte ein Berliner Konsortium den alten Landtag vom Land gekauft. Die Investoren wollen daraus einen Wohn- und Gewerbestandort machen, doch nun liegen die Pläne für mindestens drei Jahre auf Eis. Stattdessen mietet die Stadt die Immobilie für 1,63 Millionen Euro jährlich an.

Tag der offenen Tür im alten Landtag

Einige Potsdamer nutzten am Montag die Gelegenheit und sahen sich die neue Unterkunft an – die Stadt hatte zu einem Tag der offenen Tür eingeladen. „Sonst hat man ja nicht die Gelegenheit, sich das Gebäude anzusehen“, sagte ein Rentner, der Auf dem Kiewitt wohnt. Eine andere Besucherin, die in einem Seniorenheim lebt, brachte eigens gestrickte Kindermützen und -schals von einer 86-jährigen Bekannten vorbei. „Ich bin einst selbst Flüchtling gewesen“, erzählte sie. „Ich kann die Situation der Menschen gut nachempfinden.“

Weitere Spenden – etwa in Form von kleinen Weihnachtsgeschenken für die Kinder – seien herzlich willkommen, sagte die Geschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt (Awo), Angela Basekow. Sie könnten einfach bei einem der Mitarbeiter oder beim Wachdienst abgegeben werden. Die Awo hat die Trägerschaft für die Unterkunft übernommen, nachdem der Verein Soziale Stadt kurzfristig abgesprungen war. Für die Betreuung der Flüchtlinge stehen siebeneinhalb Sozialarbeiterstellen zur Verfügung.

Leiter ist Andreas Wilczek. Er sei beeindruckt von der Hilfsbereitschaft der Potsdamer, sagte er. Schon am Wochenende hätten freiwillige Helfer vor der Tür gestanden, um mit anzupacken.

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