
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Die abgefangene Rentnertruppe
Zwei Stadtrundfahrt-Unternehmen konkurrieren um Touristen – mit zum Teil drastischen Mitteln
Stand:
„Stadtplan!?“ Die junge Frau, die zwischen den Rolltreppen am Regionalbahnsteig des Potsdamer Hauptbahnhofes steht, meint es wohl gut. Ein Schwall Fahrgäste drängelt sich an die schmale Treppe. Kaum einer greift nach dem Flyer, der nicht nur den Stadtplan enthält, sondern auch für Stadtrundfahrten wirbt. Wer mit dem Flyer oder auch sonst unschlüssig herumsteht, wird auf Deutsch, Englisch, Russisch, Spanisch oder Italienisch angesprochen – gelegentlich in den Bahnhofspassagen, zielgerichtet an den Ausgängen.
Solche Szenen, ungewöhnlich für Deutschland, aber in Südeuropa oder Südostasien üblich, sind inzwischen zum Alltag am Potsdamer Bahnhof geworden. Die Werber liefern sich rund um den Bahnhof einen Konkurrenzkampf um der Touristen Gunst – hart, personalintensiv und wohl nicht immer fair. Hagen Wolff, Unternehmer der „Kaiser-Tour“, kritisiert heftig die Methoden des Mitbewerbers, sieht durch das häufige Ansprechen der Gäste einen Imageverlust für Potsdam und fordert ein Eingreifen der Stadt.
Bis 2007 war die Situation für Touristen übersichtlich und für die beiden Unternehmen einträglicher. Es gab nur geführte Rundfahrten mit wenigen Ausstiegen: Die „Kaiser-Tour“ von Hagen Wolff startete um 12 und um 13 Uhr, die „Alte-Fritz-Tour“ von Susanne Lang um 11 Uhr und um 14 Uhr. Dann drängte ein Berliner Unternehmer mit offenen und stündlich abfahrenden Doppeldeckerbussen, die an mehreren Haltestellen zum Aus- und Einsteigen (Hop-on-hop-off) hielten, auf den Markt. 2010 steckte der Unternehmer zurück: Seitdem werden Doppeldeckertour und die „Alte-Fritz- Tour“ vom selben Unternehmen vertrieben. Weil die Busse mittlerweile zwischen 10 und 16 Uhr halbstündlich abfahren, steht immer auch Wolffs Konkurrenz, die Agentur für Stadttourismus von Susanne Lang, an der kleinen Wendeschleife an der Babelsberger Straße.
„Die Situation ist unerträglich“, sagt Hagen Wolff und wirft der Konkurrenz zweifelhafte Methoden vor. So hätten deren Mitarbeiter einmal eine Gruppe von 20 Senioren in einen ihrer Busse umgelenkt, sagt Wolff. Die Gruppe habe die Tour aber bei ihm bestellt, Reiseführer, Restaurant und Bootsführer seien informiert gewesen. Die Gruppe kam auch mit einem Zug um 10.38 Uhr in Potsdam an. Aber im bestellten Bus, der um 11 Uhr abfahren sollte, saßen die älteren Herrschaften letztlich nicht. „Dazwischen haben sie meine Rentnertruppe abgefangen“, so Wolff. Die Senioren schauten sich derweil das Schloss Sanssouci und das Neue Palais an – mit dem Bus der Konkurrenz. Wenn das so passiert sein sollte, sei das nicht mit Absicht geschehen, beteuert Robert Horzetzky, Assistent der Geschäftsführung bei der Agentur für Stadttourismus. Er sagt, auch die Werber der „Kaiser-Tour“ „seien keine Kinder von Traurigkeit“. Genauer werden will er nicht.
Wolff macht sich auch Sorgen um Potsdam. Durch die Doppeldeckerbusse werde das Verkehrschaos forciert und die Straßen würden beschädigt, weil sie, wie zum Beispiel die Maulbeerallee, gar nicht für „diese schweren Busse“ ausgelegt sind. Auch der CO2-Ausstoß steige unnötig. Für offene Doppeldeckerbusse sei Potsdam nicht ausgelegt: Bäume werden in dieser Höhe nicht geschnitten, einmal hätte ein Ast die Brille eines Fahrgastes von der Nase auf die Straße befördert. Auch die Leitungen der Tram hingen zu tief, moniert Wolff. Alles keine Probleme, findet Horzetzky – bei drei Millionen Touristen fielen die fünf Busse nicht ins Gewicht.
Die Politik, sagt Wolff, habe das Problem noch gar nicht erfasst. Irgendwann müsse doch einmal die Bremse gezogen werden. Auch er habe jetzt einen offenen Doppeldeckerbus gekauft, „mit Widerwillen“. Wolff ist der Überzeugung, dass sich die Touristen auf feste Abfahrtszeiten einstellen würden. Wenige Fahrten am Tag, so Wolff, reichten auch in Wilhelmshaven oder Bremen.
Ist Bremen der Maßstab? Oder Barcelona, London und Paris? In rund 100 dieser Touristenzentren fahren Hop-on-hop-off-Busse, sagt Horzetzky, viele Touristen kennen deshalb das Angebot. Erst kürzlich wurde die Genehmigung bis 2021 verlängert. Horzetzky verweist auf den Unterschied zwischen den geführten Touren und dem Linienverkehr der Doppeldeckerbusse. Diese fahren täglich mehrmals, bei Hochsommer wie im regnerischen November, mit 30 oder mit drei Gästen. Das wirtschaftliche Risiko sei deshalb hoch, sagt Horzetzky. Die Konkurrenzsituation sei „etwas verschärft“ – aber mit Berlin noch lange nicht vergleichbar. Immerhin: Die Verkehrsbetriebe (ViP) haben schon interveniert, als Werber an der Bushaltestelle für den 695er-Bus, der nach Schloss Sanssouci fährt, aktiv auf Kundenfang gingen.
Die Agentur für Stadtmarketing hat außerdem schon seit Längerem eine weitere Wettbewerbs-Front eröffnet: Die Tourismus Mark Brandenburg (TMB), die für die Stadt Potsdam die Tourist-Info im Hauptbahnhof betreibt, bietet wie berichtet noch eine weitere Rundfahrt an – mit Besichtigung von Schloss Sanssouci. Die Frage, ob die TMB-Tourist-Information über alle Angebote fair und neutral beraten habe, das beschäftigt derzeit das Oberlandesgericht Brandenburg/Havel. Gegen die TMB geklagt hatte die „Alter Fritz“-Stadttourismus-Gesellschaft.
„Mehr Informationen zu haben, ist immer besser“
Für viele Touristen scheinen die Flyer, die sie bekommen, nützlich zu sein. Bei einer PNN-Umfrage äußerte sich niemand negativ. „Sieht gut aus“, sagt Jérome Texier, der mit einer französischen Reisegruppe nach Potsdam gekommen ist. Aber er hat nicht erfahren, wo der Bus für die Stadtrundfahrt abfährt und ob er die Tour mitmachen kann. Nützlich sei es trotzdem: Er kann jetzt alle Sehenswürdigkeiten finden, weil er einen Stadtplan bekommen hat.
Die Spanierin Begoue de la Cruz findet die Broschüre „natürlich gut. Es ist sehr gut, Informationen zu bekommen“.
Besonders für Patti Simpson aus dem kanadischen Calgary sind die Flyer hilfreich. Sie sagt, dass sie immer alle Flyer mitnimmt, besonders auch jene, die sie am Flughafen bekommt. „Mehr Informationen zu haben ist immer besser“, sagt sie. Deutsch spricht sie nicht, deswegen findet sie es nützlich, dass sie sofort am Bahnsteig eine Broschüre bekommen hat. Nicole Spewak
Ingmar Höfgen
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