Landeshauptstadt: Die alltägliche Verachtung
Plakat-Ausstellung über „Alltagsrassismus“ im Stadthaus eröffnet: Ungünstiger Standort auf dem Flur vor den Räumen des Oberbürgermeisters
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Plakat-Ausstellung über „Alltagsrassismus“ im Stadthaus eröffnet: Ungünstiger Standort auf dem Flur vor den Räumen des Oberbürgermeisters Von Dirk Becker Zimperlich sind die drei Damen auf dem Plakat nicht. Sie sitzen in einer Bar oder einer Gaststätte, die Mixgetränke vor sich und verbreiten den neuesten Tratsch: „Schon gehört? Peggy fickt mit “nem Türken!“ Auf Befindlichkeiten beim Betrachter nimmt niemand Rücksicht. Was hier beiläufig in einem ganz normalen Feierabendgespräch fällt und mit abfälligem Gekicher endet, schlägt dem Betrachter gnadenlos ins Gesicht. Alltagsrassismus in seiner Biedermannform, der hier plakativ präsentiert, regelrechte körperliche Abneigung provoziert. „Alltagsrassismus“ ist auch der Titel der Ausstellung von 29 ausgewählten Plakaten, die seit gestern für die kommenden vier Wochen im Stadthaus zu sehen ist. Doch fast schon versteckt hängen die Plakate in einem Stück Flur vor den Räumen des Oberbürgermeisters. Sie entstanden in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Design der Fachhochschule Potsdam innerhalb des „Lokalen Aktionsplanes für Toleranz und Demokratie gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit für die Landeshauptstadt Potsdam“ – und greifen auf unterschiedlichste Weise das Thema Alltagsrassismus auf. Meist in Witzen oder Sprüchen gekleidet, begegnet einem diese Form des Rassismus fast täglich in Betrieben, Schulen oder Gaststätten, wie Oberbürgermeister Jann Jakobs bei der gestrigen Ausstellungseröffnung betonte. Dass die gezeigten Plakate oft eine regelrechte Schockwirkung haben, trage am ehesten dazu bei, dass man innehält und wirklich über dieses Thema beginnt nachzudenken. Die Ausstellungseröffnung sei bewusst auf den 9. November gelegt, um so auch der deutschlandweiten Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung zu gedenken, die in den Abendstunden des 9. November 1938 ihren verheerenden Lauf nahmen. Neben den drastischen, allzu offensichtlichen Formen des Alltagsrassismus haben sich die Studenten auch mit der zurückhaltenden , fast schon versteckten Fremdenfeindlichkeit auseinander gesetzt. Auf einem Plakat ein weißes Tischtuch, aus dessen Muster sich ein Hakenkreuz schält. Auf einem anderen eine junge, freundlich lächelnde Blumenverkäuferin. Drei Zahlen daneben zeigen ihr wahres Gesicht: 49 Prozent Orchideenzüchterin, 33 Prozent Mama, 18 Prozent Nazi. Auf den doch reichlich ungünstigen Ausstellungsort angesprochen, erklärte Oberbürgermeister Jakobs, dass beispielsweise im Eingangsbereich des Stadthauses kaum Möglichkeiten bestehen würden, die Plakate dort aufzuhängen. Doch habe man nichts dagegen, wenn die Ausstellung in einem belebteren Raum zu sehen sein würde. Für Vorschläge sei man immer offen. Jakobs hofft, dass der jetzige Standort auch durch die am Wochenende stattfindende internationale Tagung über lokale Aktivitäten gegen Rechtsextremismus mehr Beachtung findet. Nach den vier Wochen im Flur des Stadthauses könne die Ausstellung, die dann im Jugendamt gelagert wird, kostenlos ausgeliehen werden.
Dirk Becker
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