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Von Juliane Wedemeyer: Die Angst der Schlaatzer

Hier wohnen die meisten Ausländer und die meisten Hartz-IV-Empfänger Potsdams und bald auch rund 100 Asylbewerber

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Das Asylbewerberheim mitten im Schlaatz? „Wir sind dagegen!“, sagen Karsten W. und seine Freundin wie aus einem Mund. Die beiden sitzen an einem Tisch bei Addy im Raucherzimmer, rauchen und trinken ein Bier. Addys, das ist Dönerbude und Kneipe gleichzeitig. Das Raucherzimmer ist größer als der eigentliche Imbiss. Es ist Montag, kurz vor eins, eine Arbeit haben die beiden nicht. Sie, 51 Jahre alt, hat früher einmal als Verkäuferin gearbeitet, er, 46, noch bis Dezember als Schlosser. „Wir haben genug Unruhe am Schlaatz“, sagt er. Mit den Asylbewerbern würde die Kriminalität ansteigen. „Die ganze Klauerei und die Frauen, die können nachts nicht mehr rausgehen.“

Mindestens dreimal pro Woche treffen sich Karsten Wilms und seine Freundin bei Addy – um zu reden, zu trinken oder Billard zu spielen. Er trägt einen armeegrünen Parker, sie hat schwarz gefärbtes Haar und rot lackierte Fingernägel. Viel mehr Farbe gibt es nicht im Raucherzimmer: Die Wände sind grau-beige. Wirt Ali hat zwei Autoposter daran gehängt.

Seit drei Wochen ist bekannt, dass das Diakonische Werk das Asylbewerberheim im Juli von der AWO übernimmt. Rund 100 Flüchtlinge aus Asien, Afrika und Osteuropa werden dann vom derzeitigen Heim am Lerchensteig am Rande der Stadt in den Schlaatz ziehen. Wenn Karsten Wilms bei Addy aus dem Fenster guckt, kann er den frisch sanierten Plattenbau sehen, den das Diakonische Werk für die Asylbewerber gemietet hat.

Jeder bei Addy hat eine Meinung dazu. Auch Wilms Freundin. Gegen Ausländer an sich habe sie nichts – wenn sie arbeiten und nicht schmarotzen. Ali zum Beispiel sei in Ordnung. Aber drei der sechs Familien, die in ihrem Hauseingang im Plattenbau wohnen, seien Ausländer. „Das Haus ist voller Dreck wegen denen“, sagt sie. Sie stellten ständig ihre Mülltüten in den Hausflur. 9,35 Prozent der Schlaatzer haben keinen deutschen Pass – mehr als in jedem anderen Potsdamer Stadtteil. In der Stadtverwaltung kursieren aber auch andere Zahlen: nämlich, dass mehr als zehn Prozent der Bewohner Ausländer sind, eingewandert vor allem aus Russland.

Ali, der Türke vom Schwarzen Meer, steht gerade hinter dem Verkaufsthresen und dreht den Dönerspieß auf dem Grill. Das Fett tropft nach unten. Er findet es richtig, dass die Asylbewerber an den Schlaatz ziehen sollen. Wenn man sie schon ins Land lasse, müsse man sie auch behandeln wie Menschen und nicht weg an den Stadtrand schieben.

Eine junge Frau betritt den Laden und kauft ein halbes Hähnchen. Rund 150 Kunden bedient Ali jeden Tag, Ausländer und Deutsche. „Viele lassen anschreiben bis zum Monatsende, wenn das Geld vom Amt kommt“, erzählt er.  8884 Menschen wohnen am Schlaatz, das Durchschnittsalter beträgt 38,55 Jahre. Jeder dritte Schlaatzer lebt von Hartz IV. Auch Roy P. Der 39-Jährige steht neben zehn anderen Männern neben dem Eingang zum Rewe-Markt am Schilfhof. Jeden Tag nach dem Einkauf trinken sie zwei, drei Bier zusammen – Sternburg Express, das kostet nur 49 Cent. Manchmal nimmt Roy P. einen Job als Tagelöhner an. Er kennt nur einen aus seiner Nachbarschaft, der einen festen Arbeitsplatz hat. Ein Flüchtlingsheim in ihrer Nachbarschaft? „Da muss ein 10-Meter-Zaun drumrum mit 10 000 Volt drauf“, ruft einer der zehn. Roy ist anderer Meinung: „Ich habe nichts gegen Ausländer.“ Trotzdem glauben die Männer, dass der Schlaatz krimineller werden wird und rechtsradikaler. Dann werde der Stadtteil noch verrufener, sagt Roy P. Er wohne überhaupt nur wegen der billigen Mieten hier. Eine Dreiraumwohnung findet man am Schlaatz schon ab 305 Euro kalt. „Ein Wohngebiet mit eigenem Flair, viel Grün, stadtteilverbundenen Alleen, direkt an der sich vorbeischlängelnden flora- und faunareichen Nuthe, die zum Angeln oder Verweilen einlädt“, heißt es in den Wohnungsannoncen der Gewoba. Gebaut wurde das gesamte Wohngebiet bis 1987 auf den Wiesen der Nuthe – im typischen DDR-Platten-Stil. Einige Fassaden wurden nach der Wände saniert und in Weiß- und -Gelb-Tönen gestrichen. An anderen wuchert der Schimmel über die abgeblätterte Farbe. Schlaatz, das kommt aus dem Slawischen und bedeutet so viel wie Sumpf.

Auch Thereße Sch. würde sofort wegziehen, wenn sie im Lotto gewinnen würde. Die 57-jährige Rentnerin im graugemusterten Anorak zieht ihren Einkaufstrolly hinter sich her. Sie ist auf dem Weg zum Kiosk, den Lottoschein abgeben. Sie spielt regelmäßig, gewonnen hat sie bisher noch nicht. Ihre 640 Euro Rente reicht nur für eine Einraum-Wohnung. Den Schlaatz verlässt sie nur, wenn sie zu ihrem Arzt in die Innenstadt muss. Oder wenn ihre Kinder sie auf einen Ausflug mitnehmen. Was schön ist an ihrem Stadtteil? Außer den billigen Mieten? Sie atmet tief ein, überlegt. „Die Nachbarn, die sind nett.“

Die 31-Jährige Simone Bechle dagegen ist mit ihrem Mann Frango und der siebenjährigen Tochter Maria extra aus Süddeutschland an den Schlaatz gezogen. Vor einer Woche. Noch wohnen die drei bei der Schwiegermutter.Simone Bechle ist Hausfrau, ihr Mann sucht in Potsdam einen Job. Ihnen gefalle es am Schlaatz,sie können hier einkaufen, zum Arzt gehen und es sei schön ruhig hier. Sie habe auch nicht den Eindruck, der Stadtteil sei besonders kriminell. „Wir fühlen uns sicher“, sagt sie und streicht über Marias Kopf. Im Sommer kann Maria auf dem Spielplatz vor dem Bürgerhaus spielen. Jetzt im Winter sind die Schaukeln und Wippen leer.

Wenn es warm ist, sei dort viel los, sagt Barbara Rehbehn, die Geschäftsführerin des Bürgerhauses. Wegen des Asylbewerberheims fürchteten viele Anwohner um die Ordnung und Sauberkeit. „Sie haben diffuse Ängste.“ Darum veranstaltet sie am 16. Februar um 18 Uhr ein Bürgergespräch zu diesem Thema. Sozialbeigeordnete Elona Müller wird dabei sein und der Chef des Diakonischen Werks, Marcel Kankarowitsch.

Barbara Rehbehn hat noch ein anderes Mittel gegen die Angst: Zum Beispiel erzählt sie den Anwohnern vom Weihnachtsmann. Auf dem Schlaatzer Weihnachtsmarkt im vergangenen Jahr war das nämlich ein Flüchtling vom Lerchensteig. Ein Afrikaner, der sich seit Jahren ehrenamtlich in dem Stadtteil engagiert und den Kindern dort Trommeln beibringt.

Juliane Wedemeyer

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