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Die Familie Oruci mit ihrem jüngsten Spross, dem sie einen deutschen Namen gegeben hat. Der zweite Sohn Bashkim konnte zum Fototermin nicht kommen, weil er in der Kita war.

© A. Klaer

Albanische Flüchtlinge in Potsdam: Die Angst vor der Heimat

Die Schwangerschaft der Frau bewahrte die albanische Familie Oruci bislang vor der Abschiebung. Doch seit der kleine Martin auf der Welt ist, läuft die Uhr. Vielleicht gibt es aber Hoffnung auf Rückkehr.

Von Katharina Wiechers

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Potsdam - Rrapos Mutter hat geweint, als sie erfuhr, dass ihr Sohn zurückkommt. Nicht, weil sie ihn nicht sehen will. Sondern weil seine Rückkehr bedeutet, dass der 33-Jährige es nicht geschafft hat in Deutschland. Dass er wieder zurückkommt in die Enge ihrer albanischen Zwei-Zimmer-Wohnung, aus der er vor einem Jahr geflohen war, um mit seiner kleinen Familie ein besseres Leben anzufangen. Doch Rrapo Oruci wird – wie fast alle Albaner derzeit – abgeschoben. Dass er überhaupt noch in der Flüchtlingsunterkunft in der Potsdamer David-Gilly-Straße geduldet wurde, lag nur an der Schwangerschaft seiner Frau Vjollca – die PNN haben bereits über den Fall berichtet. Vor gut drei Wochen ist der nun zweite Sohn geboren, der erste, Bashkim, ist vier Jahre alt. Seit der Geburt läuft die Uhr: Sobald das Baby acht Wochen alt ist, müssen die Orucis zurück.

Albaninen zählt nun zu den sicheren Herkunftsländern

„Meine Mutter versteht nicht, warum ich zurückkomme, warum ich nicht arbeiten kann“, sagt Rrapo. Doch Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsländern, zu denen seit Oktober 2015 auch Albanien zählt, bekommen in Deutschland keine Arbeitserlaubnis. Auch nicht mit einer sogenannten Duldung, wie sie die Orucis haben. Nicht einmal ein Praktikum durfte Rrapo machen, obwohl die Bäckerei schon zugestimmt hatte.

Bei der Suche nach dem Praktikum und vielen anderen Dingen mehr hat den Orucis Silvana Uhlrich-Knoll geholfen. Die 37-Jährige kennt die Familie seit Juli vergangenen Jahres und trifft sich etwa einmal die Woche mit Rrapo und der 25-jährigen Vjollca – zum Deutschüben, um ihnen beim Papierkram zu helfen oder eben um eine Arbeit für Rrapo zu finden. Doch das glich einem Kampf gegen Windmühlen, sagt die Gesangs- und Theaterpädagogin. „Ihnen wird hier keine Chance gegeben.“ Jetzt will sie den Orucis auf einem anderen Weg zu einer Zukunft in Deutschland verhelfen.

Dringende Suche nach einem Job

Nach der Abschiebung darf die Familie sechs Monate lang nicht nach Deutschland einreisen. Doch wenn sie bis dahin für Rrapo einen Arbeitsplatz gefunden hat und eine Arbeitserlaubnis organisieren kann, könnte zumindest er vielleicht wiederkommen – so ihre Hoffnung. Rrapo könnte sich zum Beispiel eine Arbeit als Kraftfahrer vorstellen, sagt er, aber auch Landschaftspflege oder Koch würde ihm gefallen. „Bei dem Fachkräftemangel, den es bei uns gibt, müsste es doch möglich sein, etwas zu finden“, sagt Silvana Uhlrich-Knoll. Auch Vjollca will arbeiten, wenn der zweite Sohn ein Jahr alt ist. Als Putzfrau oder in der Pflege, sagt sie – Bereiche also, die zumindest in Potsdam extrem unter Personalmangel leiden. Silvana Uhlrich-Knoll weiß, dass es trotzdem nicht leicht sein wird. Aber sie will alles daran setzen, einen Arbeitsplatz zu finden – gemeinsam mit einem weiteren Ehrenamtlichen aus der David-Gilly-Straße.

Doch bis es so weit sein könnte, muss die Familie mindestens sechs Monate in Albanien aushalten. Rrapos Mutter, die in der Kleinstadt Selenica bei Vlora lebt, wird sie wieder aufnehmen in ihren zwei Zimmern, das hat sie ihnen schon zugesagt. Schon vor der Flucht haben Rrapo und Vjollca bei ihr gewohnt – sechs Jahre lang schliefen sie auf dem Sofa. Doch die Mutter hat nur eine schmale Rente von rund 50 Euro, die dann für vier Menschen mehr reichen muss. Und das, obwohl zumindest Lebensmittel ähnlich teuer wie in Deutschland sind. „Wir können uns nicht mal Milch kaufen“, sagt Rrapo.

„Aber ich bedanke mich bei Silvana. Und dem deutschen Staat.“

Um ihnen die Zeit – von denen alle hoffen, dass es eine Übergangszeit wird – in Albanien zu erleichtern, hat Silvana Uhlrich-Knoll einen Spendenaufruf gestartet. Unter Freunden und Bekannten will sie mindestens 1000 Euro sammeln, die sie der Familie dann nach und nach Albanien schicken kann. Mit den 1000 Euro könnten die Orucis ungefähr drei Monate über die Runden kommen, etwa genauso viel haben sie selbst gespart. Vor rund einer Woche hat Silvana Uhlrich-Knoll eine E-Mail herumgeschickt, und die Resonanz war beeindruckend, sagt sie. „Ich dachte, einige würden fünf oder zehn Euro spenden. Doch viele haben 50 Euro gegeben.“ Schon nach wenigen Tagen hatte sie so schon die Hälfte der Summe zusammen. Als das Gespräch auf das Geld zu sprechen kommt, ist Rrapo sichtlich beschämt. „Das ist schwer für mich“, sagt er. „Aber ich bedanke mich bei Silvana. Und dem deutschen Staat.“ Er blickt zu Boden und steht dann schnell auf, um das Baby auf den Arm zu nehmen. Martin haben sie den kleinen Jungen genannt. Ein deutscher Name.

Bei der Geburt war Rrapo dabei, in Albanien ist das nicht erlaubt. Er ist froh, dass er das tun konnte. Wenn das Paar vom deutschen Gesundheitssystem spricht, kommt es ohnehin regelrecht ins Schwärmen. Gegen Ende der Schwangerschaft sei sie fast täglich untersucht worden, erzählt Vjollca begeistert – in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. „In Albanien gehst du zum Arzt und musst erst mal 300 Euro Schmiergeld zahlen“, sagt Rrapo. Er hat abgeschlossen mit seiner Heimat, er will dorthin nicht zurück. Während die Eltern wegen der Geburt im Krankenhaus waren, blieb sein älterer Bruder übrigens bei Silvana Uhlrich-Knoll und ihrer Familie, sogar über Nacht. Eine Freundschaft ist zwischen den Familien entstanden, das Vertrauen ist groß.

Für Bashki, wie die Potsdamerin den Vierjährigen nennt, sei die drohende Abschiebung am schlimmsten. In der Kita habe er Freunde gefunden, sein Deutsch ist sehr gut. Er will seine Oma in Albanien besuchen, aber nur für ein paar Tage, erzählen die Eltern lächelnd. Neulich ist die Familie mit dem Zug nach Berlin gefahren. Bashkim wäre fast nicht eingestiegen, und Rrapo weiß, warum: „Züge verbindet er mit Albanien. Davor hat er Angst.“

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