Landeshauptstadt: „Die Aula“ in Potsdam
Ehemalige ABF-Studenten trafen sich 55 Jahre nach dem Abitur erstmals wieder
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Hermann Kants Roman „Die Aula“ hat sie bekannt gemacht, die 18- bis knapp 30-Jährigen, die nach dem Zweiten Weltkrieg über das Studium an der so genannten Arbeiter-und-Bauern-Fakultät (ABF) höhere Bildung anstrebten. In Potsdam waren es 145, die im Jahr 1949 diesen ungewöhnlichen Weg beschritten. Mehr als 80 davon sind noch am Leben, und sie fanden sich gestern im Potsdamer „Stadtwächter“ – 55 Jahre nach ihrem Abitur 1952 – erstmals zu einem Klassentreffen zusammen.
Florian Neumann und Günter Simon war diese Idee gekommen, als sie sich zufällig auf der Straße trafen und wiedererkannten. Beide sind typische Beispiele für den Aufstieg der ABFler, die die ihnen gebotene Chance mit aller Konsequenz nutzten. So beendete Simon, ein bekannter Babelsberger Oberliga-Fußballer, hier seine durch das Kriegsende unterbrochene Schulausbildung und wurde später einer der prominentesten Sportjournalisten der DDR. Naumann schaffte es zum Hochschullehrer. Auf dem gestrigen Treffen konnten viele ihrer Kameraden auf eine nicht weniger erfolgreiche Karriere zurückblicken: Prof. Dr. Hans Marnette etwa, einer der führenden Historiker der DDR, die Kulturwissenschaftlerin Erna Ramlow, die Filmdramaturgen Gisela und Wolfgang Wesemann, die sich an der ABF kennen gelernt hatten und heute noch ein Ehepaar sind.
Auch der Historiker Dr. Fritz Reinert gehört dazu. Anhand von Fotos, die bei den Teilnehmern gesammelt worden waren, ließ er gestern in einem Vortrag die Geschichte der Potsdamer ABF lebendig werden. Die Schüler wohnten in neu errichteten Heimen am Neuen Palais und liefen jeden Tag durch den Park Sanssouci zur Fakultät, die zunächst in der heutigen Volkshochschule Dortustraße, dann im jetzigen Einstein-Gymnasium an der Hegelallee eingerichtet worden war. Ihre Lehrer, die zum Teil aus Potsdamer Vorkriegsgymnasien kamen, hatten von ihnen keine Streiche zu befürchten. „Zu stark war der Wille, aus unserem durch Krieg und Nachkrieg beeinträchtigen Leben etwas zu machen“, berichtet Günter Simon. Dieser Wille schloss „gesellschaftlich vorbildliches Verhalten“ ein, und so waren die ABF-Studenten bei Ernteeinsätzen ebenso vorn dabei wie beim Bau des Ernst-Thälmann-Stadions. Auch heute sind die meisten noch dem Staat dankbar, der ihnen 1949 eine Chance gegeben hatte. Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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