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Kolumne Etwas HELLA: Die Besteigung der hohen Tatra

Wer sich etwas Neues anschafft, muss auch mal was wegwerfen oder verschenken oder verscherbeln. Zum Beispiel Tatra-Straßenbahnen.

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Wer sich etwas Neues anschafft, muss auch mal was wegwerfen oder verschenken oder verscherbeln. Zum Beispiel Tatra-Straßenbahnen. 2015 wurden neun davon nach Ägypten verkauft, für einen symbolischen Preis. Auch bei der Abgabe von Tatras ins arme Rumänien, nach Ungarn oder Kasachstan haben die Potsdamer bestimmt keinen Reibach gemacht. Aber weg mit dem Schrott war angeblich immer noch billiger als die alten Dinger selbst auseinander zu nehmen. Sie erst mal aufs Abstellgleis zu stellen, ging auch nicht. Den Platz brauchen die schicken neuen Niederflurbahnen, behindertenfreundlich und bequem.

Das Bequeme wurde mir wieder so richtig bewusst, als ich mich auf den Sitz einer Niederflur-Variobahn quetschte und wenigstens eine halbe Pobacke neben meine Nachbarin lancieren konnte. Mehr ging nicht in der für Magersüchtige gebauten Bahn. Als mir dann auch noch jemand auf die Füße trat, weil er mit der Bodenschräge am Fenster nicht zurechtkam, da kullerten plötzlich ein paar nostalgische Tränen. Ich sehnte mich geradezu nach der Besteigung der „hohen Tatra“. Wer dort die etwas sperrigen Stufen hinter sich gebracht hat, der sitzt in der Tatra-Tram wie auf einem Thron, die Bänke bequem und alle nach vorn ausgerichtet. Ich hätte nie gedacht, dass mich die Ansage, zwölf von ihnen werden zur Sanierung nach Prag geschickt, einmal so freuen würde. Dabei ist es nicht nur der Nostalgiker in mir, der heimlich jubelt. Wie ich gelernt habe, muss man Vorteile eben leider oft auch mit Nachteilen bezahlen, siehe die Schlanktellisitze im Niederflur.

Außerdem dachte ich an meine Reiseerfahrungen in anderen Städten, wo man durchaus nicht so schnell mit dem Verschrotten ist. Lissabon hat zum Beispiel aus seinen Uralt-Straßenbahnen eine Touristenattraktion gemacht. Ich befürchte allerdings, dass die deutsche Sicherheitsstandards nicht erfüllen. Oder San Francisco. Dort sind es nicht nur die Cable Cars, die die Hügel hinauf und hinunterrumpeln und beim Bremsen wahre Akrobaten als Lenker brauchen. Auch andere Oldtimer schlagen sich noch wacker im Alltagsverkehr. Und wenn ein Rollstuhlfahrer nicht auf den Peron kommt, steigt der Fahrer aus und hilft. Im flotten Potsdam mit seinem dichten Fahrzeugtakt wäre das natürlich undenkbar. Wegen der Sicherheit. Oder wegen der Straßenbahnfahrergewerkschaft. Bis die frisch aufgepäppelten Tatras zurückkommen und der Hauptbahnhof die neue Wendeschleife hat, ist vielleicht genug Zeit, auch mal über den touristischen Einsatz alter Straßenbahnen intensiver nachzudenken. Touristen bezahlen nämlich gern viel Geld, um möglichst unbequem zu einer Sehenswürdigkeit zu kommen.

Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam.

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