Etwas HELLA: Die Bosheit der Sichtachsen
Architekten haben es nicht leicht. Entweder ist das Geld knapp oder der Platz oder es steht schon etwas in der Gegend herum, was da auch bleiben soll.
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Architekten haben es nicht leicht. Entweder ist das Geld knapp oder der Platz oder es steht schon etwas in der Gegend herum, was da auch bleiben soll. Am schlimmsten aber sind die Sichtachsen. Potsdam ist – wohin man auch blickt – von ihnen durchzogen und gerade deshalb sieht der normale Sterbliche auch nicht mehr durch, wann da was wem eventuell die Sicht versperren könnte. Beim Lustgarten zum Beispiel. Da steht das Hochhaushotel – ich weiß nicht einmal, ob es sich dort auch um eine Sichtachse handelt – vielen im Wege. Den Stadtplanern, dem Oberbürgermeister und den Fans einer historischen Innenstadt. Wenn allerdings meine Sichtachse noch richtig funktioniert, dann hatten sich die Potsdamer beim Bürgerhaushalt kategorisch und eindeutig dafür ausgesprochen, dass für den Abriss des Klotzes mit dem Namen Mercure kein städtisches Geld ausgegeben werden soll. Aber lässt sich dadurch der Architekt im Allgemeinen und der Teilnehmer am Wettbewerb um die Neugestaltung des Lustgartens korrumpieren? Nie!
Nicht ein einziger Wettbewerbsteilnehmer war gewillt, das Bauwerk in einen erneuerten Lustgarten einzubeziehen und sei es auch nur für die nächsten zehn, fünfzehn Jahre. So lange wird es uns nämlich erhalten bleiben, wenn die engagierten hoch motivierten Bürger der Stadt auch die nächsten mehr oder weniger motivierten Investoren noch vergrault haben. Nicht etwa, dass ich das Hotelhochhaus für eine architektonische Meisterleistung halte, aber die Lustgarten-Entwürfe im Wettbewerb reißen mich auch nicht gerade vom Hocker. Ich weiß, man kann vom gefesselten Prometheus nicht erwarten, dass er den Menschen unablässig feurig einheizt. Gerade wird ja wieder – siehe Sichtachse – um die Aufstockung des Karstadt-Warenhauses gestritten, obwohl sich die Planer dafür angeblich eine beinahe unsichtbare Architektur haben einfallen lassen. Aber mal ein großer Wurf in der Potsdamer Architekturgeschichte nach all dem Barock und Rokoko, der Gründerzeit und den Anklängen an Italien, England, die Schweiz und Sansibar (kommt noch, wenn es Partnerstadt wird) wäre auch ganz schön. Ich glaube, die letzte architektonische Großtat war der Entwurf des Einsteinturms auf dem Telegrafenberg. Aber sein Bau ist auch schon wieder über 90 Jahre her.
Eine Hoffnung habe ich allerdings noch. Sollte es gelingen, mit europäischen Geldern ein Wissenschaftsschaufenster in der Breiten Straße zu etablieren – nicht das kleine, das heute im Naturkundemuseum eingeweiht wird, sondern ein ganzes Haus der modernen Wissenschaften, dann wird das ein Highlight, supermodern, bizarr und über die Maßen funktional und selbst Schlösserstiftung und Denkmalpflege sind geblendet und stimmen jubelnd zu. Hoffentlich vergehen darüber nicht die nächsten 90 Jahre.
Unsere Autorin war langjährige Redakteurin und ist jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam.
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