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Homepage: „Die Diskussion um Konrad Wolf war ein Fehler“

Dieter Wiedemann über 17 Jahre als HFF-Chef, über Film als politische Emigration, merkwürdige Zufälle und verworfene Kreuzfahrten

Stand:

Herr Wiedemann, Gratulation: 17 Jahre an der Spitze der HFF, das ist eine außerordentliche Leistung!

Als ich 1995 Rektor wurde, dachte ich nicht, dass ich so lange an der Spitze bleiben werde. Eigentlich wollte ich wieder zurück in meine Professur. Aber es kam eben anders. In der Zwischenzeit ist es so eine Art Lebenswerk geworden.

Ihr größter Erfolg als HFF-Chef?

Das war der Neubau der HFF. Und die Akzeptanz als Kunsthochschule.

Die größte Niederlage?

Dass ich die Diskussion um den Namen der Filmhochschule, „Konrad Wolf“, nicht verhindert habe. Das war ein Fehler von mir. Ich hatte nicht rechtzeitig erkannt, dass die Debatte um den Erhalt des Namens nicht notwendig war. Das hat der HFF nur geschadet.

Hatten Sie schon einmal das Gefühl, hinschmeißen zu wollen?

Nein, wenn es eng wird, will ich dranbleiben und erst recht beweisen, dass es funktioniert.

War es von Anfang an Ihr Ziel, eine Hochschule zu leiten?

Nein, ich bin da eher hineingewachsen. 1990 kam ich an die HFF und habe dort zunächst ein medienwissenschaftliches Forschungsinstitut aufgebaut. 1995 wurde ich Professor und wollte fortan lehren und forschen. Die Leitung hatte ich damals nur als Übergang gesehen, vier Jahre und dann zurück in die Professur. Als es 1999 keinen ernst zu nehmenden Kandidaten gab, wurde ich wieder gefragt. Nach zehn Jahren dann ist man auch aus der Professur raus.

Die neue HFF, der Neubau nach 1995, das wurde dann zu Ihrem Kind.

Ja klar. Ich hatte mir viel vorgenommen, was in einer Amtszeit schlicht nicht zu bewältigen war. Anfang des Jahrtausends wurde dann aus der HFF mit ihren Fachhochschulstudiengängen eine Kunsthochschule, und es ist uns gelungen, das Promotionsrecht an die Hochschule zu holen. Auch der Neubau war eine ziemliche Herausforderung. Aber auch spannend: eine Hochschule am Reißbrett zu entwickeln und einen Medienstandort zu schaffen.

Ihre Amtszeit endet offiziell am 30. April. In zwei Wochen geben Sie Ihren Abschied. Können Sie nun loslassen?

Im vergangenen Jahr wäre mir das leichter gefallen. In dieser schwierigen Zeit nun – die Hochschulstrukturkommission evaluiert das Haus, Sparauflagen bedrohen die Arbeit – trifft es sich ganz gut, dass die Wahl meines Nachfolgers wohl frühestens im September erfolgen wird. Voraussichtlich werde ich also noch bis Jahresende die Geschicke der HFF leiten. Meiner Familie habe ich gesagt, dass ich spätestens im März 2013 hier raus bin.

Sie verabschieden sich, um dann doch noch zu bleiben, bis Ihr Nachfolger feststeht?

Wir haben länger darüber nachgedacht, ob wir die Verabschiedung zum offiziellen Ende meiner Amtszeit machen sollen. Den Ausschlag gab dann Berlinale-Chef Dieter Kosslick, der die Laudatio halten wird. Er hat im Herbst keine Zeit, da er dann die nächste Berlinale vorbereitet.

Ihr Nachfolger hätte doch direkt den Stab übernehmen können.

Es wäre unfair gewesen, einen Nachfolger in diese Zeit der Umbrüche und Kämpfe zu schicken. Das Land erwägt nun ernsthaft, aus dieser Hochschule Deutschlands erste Filmuniversität zu machen. Gemeinsam mit dem Senat haben wir für die Strukturkommission noch einmal ganz neu über die HFF nachgedacht und entsprechende Papiere verfasst. Das müssen wir nun auch zu Ende bringen.

Welche Kämpfe meinen Sie?

Der größte Kampf bezieht sich natürlich auf die Finanzen. Der Vorsitzende der Strukturkommission hat gesagt, dass eine Entscheidung für die Filmuniversität eine Steigerung der finanziellen Mittel der HFF impliziert. Diese brauchen wir nicht zuletzt für neue innovative Studiengänge, die nah an der Filmwirtschaft aktuellen und künftigen Bedürfnissen Rechnung tragen. Das ist mit dem jetzigen Etat, der schon nah an der Schmerzgrenze liegt, nicht zu leisten. Die Landesregierung muss nun entscheiden, was sie will.

Wie sehr treffen die Einschnitte die HFF?

Die qualitativ hochwertige Ausbildung ist bereits mit dem aktuellen Haushalt nicht mehr zu garantieren. Politisch bedeutende Filme wie „Die Kriegerin“ können wir uns in Zukunft einfach nicht mehr leisten. Die Filme der HFF spielen permanent Preise ein. Es ist widersinnig, wenn das Land drauf stolz ist und gleichzeitig den Etat herunterfährt.

Werden Sie in Ihrer Amtszeit die Filmuniversität noch erleben?

Nein, so etwas braucht viel Zeit. Und einen Gründungsrektor. Diese Filmuniversität soll in erster Linie eine Kunstuniversität sein, mit wissenschaftlicher Untermauerung. Das muss ordentlich geplant sein.

Die Voraussetzungen dafür haben Sie doch bereits geschaffen.

Sollte die Genehmigung erteilt werden, sind wir bestens vorbereitet. Ein zweiter wissenschaftlicher Studiengang „Digitale Medienkultur“ liegt beim Ministerium, das künstlerisch-wissenschaftliche Promotionsrecht ebenso. Ohne Reaktion. Dort will man wohl erst die Empfehlungen der Hochschulstrukturkommission abwarten. Wir befinden uns also gerade in einer Art Schwebezustand.

Gehen Sie nun mit einem lachenden oder weinenden Auge?

Ich werde ganz sicher nicht weinen, ich werde vielmehr lächeln. Denn ich hinterlasse meinem Nachfolger eine grundsolide Hochschule. In 17 Jahren habe ich etwas geschaffen, was ich mir zu Anfang nie vorgestellt hätte.

Und dann?

Ich werde bestimmt nicht den ganzen Tag zu Hause im Garten sitzen. Vielleicht schreibe ich etwas, ein Buch zum Kinderfernsehen steht noch aus. Da ich in der Nähe der HFF wohne, werde ich sicher öfter dort vorbeischauen.

Keine weiteren Pläne?

Doch, die gibt es. Man hat mir angetragen in Schwerin eine Filmausbildung aufzubauen, ein Konzept habe ich bereits verfasst. Es geht um die Ausbildung von Assistenzberufen, nicht um Regie und Kamera, sondern um deren Assistenten. Das wird in Deutschland vernachlässigt.

Also keine Kreuzfahrt im Ruhestand?

Ich habe tatsächlich daran gedacht, ein halbes Jahr ins Ausland oder auf ein Schiff zu gehen. Aber meine Frau arbeitet noch. Und jetzt habe ich noch Lust, etwas zu entwickeln. Ob das in drei, vier Jahren noch so ist, weiß ich nicht.

Es soll auch Pläne mit China geben.

Das ist eher eine Aufgabe der HFF. Der Besitzer eines großen Filmstudios in Shanghai hat sich in den Kopf gesetzt, dass die Studenten der Tonkin-Universität ihren Bachelorabschluss in Babelsberg machen. Für die reichen Chinesen hat ein deutscher Abschluss einen hohen Wert. Er will jährlich 500 Bachelor-Studenten nach Potsdam bringen und dazu eine eigene Schule bauen. Zwei Semester sollen hier studiert werden. Ich hatte Babelsberg dafür vorgeschlagen. Dem Investor schwebt jedoch Werneuchen nordöstlich von Berlin vor – das Studium soll nicht zu nah an der Großstadt stattfinden, ohne Ablenkungen. Es wurden Gespräche mit der Landesregierung geführt. Ich bin in der Sache aber noch etwas unsicher, gerne würde ich zunächst die Curricula von der dortigen Hochschule sehen.

Sie sind bekannt dafür, den Standort Potsdam zu protegieren. Gibt es auch etwas, das Ihnen hier fehlt?

Was mich an Potsdam ein wenig stört, ist das fehlende Selbstbewusstsein. Nach dem Alten Fritz kommt lange nichts. Alles wird mit einer leicht kritischen Distanz betrachtet. Als eifriger Theatergänger sehe ich fast alle Theaterpremieren des Hans Otto Theaters. Das ist ein gutes Theater. Viele Städte würden sich über so ein Ensemble freuen. Die meisten Potsdamer sehen das jedoch nicht. Die gesamte Schiffbauergasse ist ein Pfund, mit dem man viel mehr wuchern könnte. Was in Potsdam leider auch fehlt, ist studentisches Flair, und vor allem ein studentisches Kneipenviertel. Viele Studenten ziehen daher Berlin als Wohnsitz vor, wo natürlich viel mehr los ist. Das muss man letztlich akzeptieren.

Wo sehen Sie Entwicklungspotenzial?

Das Filmmuseum – auch als Spielstätte für unsere Premieren – könnte sich mit dem Landtag und dem geplanten Wissens-Speicher in der Bibliothek zu einem Anziehungspunkt entwickeln. Aber Studierende brauchen noch etwas anderes, die brauchen keinen Luxus, sondern einfache Biergärten oder Kneipen.

Sie sind eigentlich ein Zugezogener.

Ich komme aus Thüringen, bin nun seit 20 Jahren hier. Inzwischen ist das unsere Heimat geworden.

Ihre Familie wurde aus dem Sudetenland vertrieben als Sie ein Säugling waren. Hat Sie diese Herkunft geprägt?

In der Kindheit hat das schon eine gewisse Rolle gespielt. Meine Großmutter hatte sich oft gewünscht, dass wir zurückkehren können. Aber in diese ländliche Gegend wäre ich nicht zurückgegangen. Sie hat mich auch nicht wirklich geprägt. Meine eigentliche Heimat ist Thüringen, dort bin ich aufgewachsen.

Der Film wurde Ihnen dann zur zweiten Heimat?

Ich bin auch da eher hineingewachsen. Der Anlass war vielmehr profan. Ich hatte einen schweren Unfall mit der Hand, musste mich beruflich umorientieren. Zunächst bot sich die Möglichkeit, im Kulturhaus Suhl zu arbeiten, dann bin ich ans Theater gekommen. Ich war an der Theaterhochschule in Leipzig mit dem Ziel, Theaterdramaturg zu werden. Als 1969 das zweite DDR-Fernsehprogramm aufgebaut wurde, waren Dramaturgen gesucht. Zusammen mit der Hälfte meines Jahrgangs ging ich schließlich nach Potsdam, um dort Filmdramaturgie und Filmwissenschaft zu studieren. Ich sollte eigentlich zur Defa, wurde dann aber ans Zentralinstitut für Jugendforschung nach Leipzig abgeworben. Es waren immer merkwürdige Zufälle, die mein Leben völlig umgestellt haben.

Welche Rolle hat für Sie der repressive DDR-Staat gespielt?

Das wurde für mich schon recht früh ein Thema, was auch mit meiner Biografie zusammenhängt. Meine Mutter war streng katholisch, mein Vater Kommunist. Ich bin in der Diaspora in Suhl katholisch aufgewachsen und war bis zum 20. Lebensjahr Ministrant in einer sozialistischen Gesellschaft. In dieser Wechselwirkung bin ich groß geworden. 1961 habe ich erlebt, wie ein Mitschüler von der erweiterten Oberschule geflogen ist, weil ihn ein anderer dafür angeschwärzt hat, dass er Deutschlandfunk hört. Wir haben erlebt, wie 15-Jährige dieses böse Spiel mitmachen mussten. Warum ein Schüler einen anderen verrät, hat bei uns Klassenkameraden Spuren hinterlassen und uns lange Zeit beschäftigt. Es hat uns vorsichtig gemacht, wir haben auf dem Schulhof das Thema gewechselt, wenn jemand Unbekanntes hinzukam. Das war auch ein Grund dafür, dass ich später als Soziologe und Psychologe gearbeitet habe. Ich wollte erkennen, was das für eine Generation ist, die unter diesen Umständen aufwächst.

Welche Rolle spielte der Film dabei für Sie?

Film, Literatur und Theater wurden uns zu Fluchtmöglichkeiten. Wir sind durch diese Medien sozusagen politisch emigriert, aus dem Eingeschlossensein in ein freies Land der Gedanken. Das war sehr wichtig für uns, auch um zu schauen, was woanders geschrieben und gedacht wird. Die Dokfilmwochen in Leipzig wurden für uns Studenten zum Fenster zur Welt.

Gab es Situationen, in denen Sie sich dem Zugriff der Staatsmacht entziehen mussten?

Gott sei Dank bin ich nie in eine derartige Situation gekommen. Nach der Wende habe ich erfahren, dass ein sehr nahes Familienmitglied mich beschattet hat. Er hat mich jedoch nicht nur bespitzelt, sondern auch beschützt. Er schrieb zwar auf, was ich ihm erzählt habe, gleichzeitig hat er aber auch dafür gesorgt, dass ich aus der Schusslinie kam, wenn ich mal wieder zu leichtsinnig gewesen war.

Welche Zukunft sehen Sie für den Film?

Theater, Bücher und Zeitungen sind schon öfter tot gesagt worden. Dennoch gibt es sie noch immer. Das wird mit dem Film nicht anders sein. Auch in Zukunft wollen die Menschen Geschichten sehen und erleben, egal ob auf der Leinwand oder als holografische 3D-Darstellung. Die Menschen werden sich weiter Geschichten erzählen wollen, sich weiter zum Lachen und Weinen bringen wollen. Film ist durch das Internet demokratischer geworden, aber auch amateurhafter. In Zukunft wird man intelligente Suchmaschinen brauchen, die Zugänge schaffen, intelligente Bild- und Tonerkennungssysteme. Der Film wird auch stärker in Richtung Kunstwerk gehen. Wir brauchen keine Sorge um den Film zu haben.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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